Schaut man sich momentan die Medien an, steht in vielen Orten die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften im Raum. Aufgrund weiter steigender Flüchtlingszahlen und weiterhin mangelnder Unterbringungsmöglichkeiten kommt dem Thema eine weitreichende Brisanz zu. Hierbei stehen sich verschiedene Interessen gegenüber, die teilweise recht schwierig miteinander zu vereinbaren erscheinen. So stehen die Interessen der Flüchtlinge, eine Unterkunft zu haben, oftmals den Interessen der Gemeinden, die möglicherweise anderweitige Planungen für das in Frage kommende Areal haben, sowie den Interessen der Nachbarn gegenüber.
Hier lohnt es sich, einen Blick ins Gesetz zu werfen und sich die Hintergründe der rechtlichen Regelungen vor Augen zu führen:
Als Bestandteil der Schlussvorschriften des Baugesetzbuchs (BauGB) und damit eher erst auf den zweiten – oder gar einen weiteren – Blick zu erkennen ist § 246 BauGB, der in seinen Absätzen 8 bis 17 umfangreiche und zudem auch die üblicherweise geltenden Vorschriften des BauGB bzw. der BauNVO (Baunutzungsverordnung) teilweise auf den Kopf stellende Regelungen enthält.
§ 246 Abs. 8 bis 17 BauGB schafft – wie seine Überschrift es schon sagt – Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte. Sein Ziel ist es, die Schaffung von Flüchtlingsunterkünften zu erleichtern, um den Bedarf bestmöglich decken zu können.
Ursprünglich ins BauGB aufgenommen wurden Regelungen zur erleichterten Unterbringung von Flüchtlingen mit Wirkung zum 26.11.2014, zunächst befristet bis 31.12.2019. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch weiterhin entsprechender Bedarf an Flüchtlingsunterkünften bestand und auch jetzt besteht, wurden die Regelungen bereits mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 31.12.2027, wobei davon auszugehen ist, dass auch dann wieder eine Verlängerung erfolgen wird.
Nachfolgend sollen die Absätze 8 bis 17 des § 246 BauGB kurz dargestellt werden, um einen Überblick über die Rechtslage zu geben:
Nach § 246 Abs. 8 BauGB gilt § 34 Abs. 3a S. 1 BauGB (Abweichung vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung) entsprechend für Nutzungsänderungen zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in solche baulichen Anlagen, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, und für deren Erweiterung, Änderung oder Erneuerung. Hiermit können somit zulässigerweise errichtete bauliche Anlagen auch dann eine Nutzungsänderung in eine der Unterbringung von Flüchtlingen dienende Anlage erfahren bzw. erweitert, erneuert oder geändert werden, wenn sich dies nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
Gemäß § 246 Abs. 9 BauGB gilt die Rechtsfolge des § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB (ein Widerspruch gegen die Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans, eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft oder die Befürchtung der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung kann den entsprechenden Vorhaben nicht entgegengehalten werden) für Vorhaben entsprechend, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, wenn das Vorhaben im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit nach § 30 Abs. 1 (im Geltungsbereich eines Bebauungsplans) oder § 34 BauGB (im unbeplanten Innenbereich) zu beurteilenden bebauten Flächen innerhalb des Siedlungsbereichs erfolgen soll. Mit der Regelung des § 246 Abs. 9 BauGB können somit Flüchtlingsunterkünfte im Außenbereich, der an den Innenbereich oder einen überplanten Bereich angrenzt, leichter umgesetzt werden.
§ 246 Abs. 10 BauGB bezieht sich auf Flüchtlingsunterkünfte in Gewerbegebieten. Hiernach kann in Gewerbegebieten – auch in faktischen Gewerbegebieten – für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Die vormals vertretene gesetzgeberische Auffassung, dass Flüchtlingsunterkünfte in Gewerbegebieten unzulässig seien, ist damit aufgegeben.
Nach § 246 Abs. 11 BauGB gilt § 31 Abs. 1 BauGB (Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans) mit der Maßgabe, dass Anlagen für soziale Zwecke, die der Unterbringung und weiteren Versorgung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden dienen, in Baugebieten nach den §§ 2 bis 8 BauNVO (Kleinsiedlungsgebiete, reine, allgemeine und besondere Wohngebiete, Dorfgebiete und dörfliche Wohngebiete, Mischgebiete, urbane Gebiete, Kerngebiete, Gewerbegebiete – auch jeweils in entsprechenden faktischen Gebieten) in der Regel zugelassen werden sollen, soweit dort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können. Zu beachten ist hier die Formulierung, dass Anlagen für Flüchtlingsunterkünfte in der Regel zugelassen werden sollen. Hieraus ist zu entnehmen, dass dies nur bei Vorliegen besonderer Umstände nicht der Fall sein soll.
§ 246 Abs. 12 BauGB befasst sich mit befristeten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans für die Errichtung mobiler Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende und die Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in Gewerbe- und Industriegebieten sowie in Sondergebieten nach den §§ 8 bis 11 BauNVO – auch faktischen – in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von der grundsätzlich für eine Befreiung notwendigen Voraussetzung, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, wird hier somit abgesehen – dies erscheint wegen der Befristung und des weiter bestehenden Erfordernisses der Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen vertretbar.
§ 246 Abs. 13 BauGB regelt – unbeschadet des Absatzes 9, der sich ebenfalls mit Flüchtlingsunterkünften im Außenbereich befasst, aber standortabhängig ist (s. oben) – standortunabhängig, dass die Rechtsfolge des § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB (ein Widerspruch gegen die Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans, eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft oder die Befürchtung der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung kann den entsprechenden Vorhaben nicht entgegengehalten werden) entsprechend für die auf längstens drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende und für die Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen, auch wenn deren bisherige Nutzung aufgegeben wurde, in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende, einschließlich einer erforderlichen Erneuerung oder Erweiterung, gilt. Als Korrektiv zur Standortunabhängigkeit ist Absatz 13 – anders als der standortabhängige Absatz 9- auf mobile Unterkünfte oder eine bereits vorhandene Außenbereichsnutzung, die nun lediglich umgenutzt werden soll, beschränkt.
Bei sämtlichen vorstehenden Absätzen des § 246 BauGB ist die Subsidiaritätsklausel des § 246 Abs. 13a BauGB zu beachten – von den Absätzen 8 bis 13 darf nur Gebrauch gemacht werden, soweit dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können.
Der am weitesten in die Hoheitsrechte der Gemeinden eingreifende Absatz des § 246 BauGB ist schließlich Absatz 14: Soweit auch bei Anwendung der Absätze 8 bis 13 dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können, kann bei Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende bis zum Ablauf des 31.12.2027 von den Vorschriften dieses Gesetzes – also des BauGB – oder den aufgrund des BauGB erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden. Zuständig ist die höhere Verwaltungsbehörde. Für Bayern ist zur Zuständigkeit Folgendes festzuhalten: § 203 Abs. 3 BauGB ermächtigt die Landesregierungen „durch Rechtsverordnung die nach diesem Gesetzbuch der höheren Verwaltungsbehörde zugewiesenen Aufgaben auf andere staatliche Behörden, Landkreise oder kreisfreie Gemeinden [zu] übertragen“. Eine solche Übertragung ist mit § 2 Abs. 5 S. 1 ZustVBau seitens der Bayerischen Landesregierung vorgenommen worden. Danach sind die Landratsämter die zuständigen Behörden für die Erteilung der Abweichung nach § 246 Abs. 14 BauGB. Zu beachten ist auch dass die Gemeinde – nur – anzuhören ist. Trotz seiner weitreichenden Eingriffe in die gemeindliche Planungshoheit ist es einhellige Auffassung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass § 246 Abs. 14 BauGB verfassungsgemäß ist. Festzuhalten ist als Grundgedanke des § 246 Abs. 14 BauGB, dass dort, wo nach § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB eine dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeit für Flüchtlinge im Gemeindegebiet nicht bereitgestellt werden kann, von den Vorschriften des BauGB und den aufgrund des BauGB erlassenen Vorschriften (also beispielsweise den Vorschriften der BauNVO) im erforderlichen Umfang abgewichen werden kann, so dass auch dort eine Unterkunftsmöglichkeit errichtet werden kann – wobei freilich Voraussetzung der dringende Bedarf im Gemeindegebiet ist.
Des Weiteren ist unbedingt § 246 Abs. 15 BauGB zu beachten: Die Frist für die Erteilung bzw. Versagung des gemeindlichen Einvernehmens und dadurch auch die Einvernehmensfiktion wird abweichend von § 36 Abs. 2 S. 2 BauGB auf einen Monat verkürzt.
§ 246 Abs. 16 BauGB verweist für Vorhaben im Außenbereich auf § 18 Abs. 3 S. 2 BNatSchG (Fiktion des Benehmens der Naturschutzbehörde).
§ 246 Abs. 17 BauGB stellt die Bedeutung der Befristung bis zum Ablauf des 31.12.2027 klar.
Zusammenfassend ist Folgendes im Blick zu behalten:
Die Regelungen des § 246 Abs. 8 bis 17 BauGB sind äußerst komplex und zumindest teilweise nur schwer verständlich sowie zum Teil auch schwierig abgrenzbar. Sie sind zudem im Kontext mit ihrer Entstehungsgeschichte zu sehen – es sollte der dringende Bedarf an Flüchtlingsunterkünften schnellstmöglich gestillt werden. Aus diesem Grund sieht der § 246 BauGB in seinen Absätzen 8 bis 17 weitreichende Möglichkeiten vor, von den grundsätzlich geltenden Regelungen des Baurechts abzuweichen und auch die Verfahren zu verkürzen.
Gerne sind wir Ihnen bei baurechtlichen Fragen betreffend die Entstehung von Flüchtlingsunterkünften behilflich.
gez. RAin S. Lesch/Fachanwältin für Verwaltungsrecht