I. Einführung
Vor dem Hintergrund zunehmender Flutkatastrophen, wie derjenigen des Ahrtals im Juli 2021, stellt sich für viele Kommunen die Frage, wie sie sich lokal an die Folgen des Klimawandels anpassen können. Extremwetterereignisse – sowohl Trockenperioden als auch Starkregen – häufen sich im Zuge des fortschreitenden Klimawandels, sodass dringender Handlungsbedarf besteht. Gerade Kommunen mit Anbindung an Fließgewässer oder einem hohen Anteil an versiegelten Flächen sind durch Überschwemmungen infolge periodisch häufigerer und stärkerer Niederschläge gefährdet.
Demnach besteht einerseits die Herausforderung, die gewaltigen Regenmengen zu beseitigen, andererseits gilt es, das Wasser mit Blick auf Hitzeperioden im lokalen Wasserhaushalt zu halten und zu nutzen. Das Konzept der „Schwammstadt“ ist dabei eine vielfältig verwendete Begrifflichkeit.
Nachfolgend wird aufgezeigt, wie Kommunen durch entsprechende Festsetzungen in einem Bebauungsplan zu einem innovativen und zeitgemäßen Niederschlags- und Hochwassermanagement beitragen können.
II. Festsetzungsmöglichkeiten nach § 9 Abs. 1 BauGB im Einzelnen
Vorab ist zu erwähnen, dass Festsetzungen nach dem Katalog des § 9 Abs. 1 BauGB hinreichend bestimmt sein müssen und Kommunen an die Festsetzungsmöglichkeiten gebunden sind. Ihnen steht daher kein Festsetzungserfindungsrecht zu.
- § 9 Abs. 1 Nr. 14 BauGB: Flächen für die Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser
§ 9 Abs. 1 Nr. 14 BauGB ermöglicht unter anderem die Festsetzung von Flächen für die Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser; auch auf privaten Flächen (BVerwGUrt. v. 30. 8. 2001 – 4 CN 9/00). Aus dem Wortlaut ergibt sich, dass lediglich Flächen ausgewiesen, nicht aber die Art der Versickerung oder technische Maßnahmen festgelegt werden können (KommunalPraxis Bayern 2021, 302 (304); Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 9 Rn. 79).
Konkret bietet sich der Gemeinde auf Grundlage dessen die Möglichkeit, Notwasserwege für Starkregenereignisse anzulegen. Entsiegelte Flächen sind für die Versickerung des Regens von erheblicher Bedeutung. Der zentralen Regenwasserrückhaltung dienen zudem (multifunktionale) Rückhalteflächen oder -becken, die nach dem Starkregenereignis kontrolliert und verlangsamt entleert werden können (HLNUG, Checkliste für die Bauleitplanung, S. 3). Hingegen sind Niederschlagszwischenspeicher, etwa Mulden oder Rigolen, nach Nr. 20 festzusetzen (vgl. BVerwG Urt. v. 30. 8. 2001 – 4 CN 9/00). In Abgrenzung zu § 9 Abs. 1 Nr. 16c und 16d BauGB (dazu später) geht es in Nr. 14 primär um die Ableitung von Niederschlag als Abwasser. Soweit es um die Bekämpfung von Hochwasser geht, ist Nr. 16 spezieller, weshalb für Aspekte der Klimaanpassung auch weniger auf Nr. 14, sondern vielmehr auf Nr. 16 abgestellt werden muss.
- § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB: öffentliche und private Grünflächen
Sowohl öffentliche als auch private Grünflächen können Kommunen auf Grundlage der Nr. 15 festsetzen. Im Falle eines Hochwasser- und Starkregenereignisses können diese Flächen kurzzeitig geflutet werden, sodass das Wasser anschließend versickert, verdunstet oder gegebenenfalls über Gewässer oder Kanalsysteme auch gezielt abgeleitet wird (vgl. StMUV, Wassersensible Siedlungsentwicklung, S. 22 f.). Für die sonstige Nutzung der Grünflächen hält der nicht abschließende Katalog des § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB vielfältige Optionen bereit.
- § 9 Abs. 1 Nr. 16 BauGB: Hochwasserschutz
Mit Inkrafttreten des Hochwasserschutzgesetzes II (2017) wurden die Festsetzungsmöglichkeiten zur Vermeidung oder Verringerung von Überflutungsschäden nach § 9 Abs. 1 Nr. 16 BauGB neustrukturiert, insbesondere vier eigenständige Optionen (a-d) normiert.
a) § 9 Abs. 1 Nr. 16b BauGB: flächenbezogener Hochwasserschutz
Ausgehend von § 9 Abs. 1 Nr. 16b BauGB können Kommunen Flächen für Hochwasserschutzanlagen, für die Regelung des Wasserabflusses, einschließlich des Niederschlagswassers aus Starkregenereignissen, festsetzen.
Erfasst werden Boden-, Retentionsflächen sowie Flächen, die bei Bedarf geflutet werden können. Auf diesen Flächen können anschließend Deich- und Dammanlagen, Schutzmauern sowie Hochwassersperrwerke errichtet werden.
Sofern Kommunen hierfür auch konkrete Zielwerte festsetzen, bedürfen sie einer wasserfachlichen Beratung durch die zuständigen Wasserbehörden bzw. Wasserwirtschaftsämter.
b) § 9 Abs. 1 Nr. 16c BauGB: gebäudebezogener Hochwasserschutz
Anschließend bietet § 9 Abs. 1 Nr. 16c BauGB den Kommunen die Festsetzungsmöglichkeit von Gebieten, in denen bei der Errichtung baulicher Anlagen bestimmte bauliche oder technische Maßnahmen getroffen werden müssen, die der Vermeidung oder Verringerung von Hochwasserschäden einschließlich Schäden durch Starkregen dienen, sowie die Art dieser Maßnahmen.
Hierbei ist an folgende Festsetzungen zu denken: Festsetzungen zur Dicke von Wänden oder Bodenplatten, Verriegelungs- und Abschottungseinrichtungen oder die Zulässigkeit hochwassersensibler Anlagen wie Ölheizungen oder Notstromaggregaten erst ab einer bestimmten Höhe. Bauliche Maßnahmen sind beispielsweise die Aufstelzung, Verwendung wasserundurchlässiger Baustoffe oder Aufsockelung. Denkbar ist dabei, dem jeweiligen Bauherr durch die Möglichkeit von Festsetzungsalternativen ein Wahlrecht einzuräumen. Von anderen baulichen Schutzvorschriften ist Nr. 16c BauGB unabhängig und steht insbesondere neben den §§ 78 ff. WHG (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker, 153. EL Januar 2024, BauGB § 9 Rn. 139b).
c) § 9 Abs. 1 Nr. 16d BauGB: Prävention von Hochwasserschäden durch Flächen für natürliche Versickerung
Flächen, die auf einem Baugrundstück für die natürliche Versickerung von Wasser aus Niederschlägen zur Prävention von Hochwasserschäden freigehalten werden müssen, können Gemeinden basierend auf § 9 Abs. 1 Nr. 16d BauGB festsetzen.
Eine Festsetzung nach Nr. 16d setzt die potentielle Gefahr von Hochwasser- oder Starkregenschäden und die Geeignetheit der jeweiligen Flächen zur Aufnahme und Versickerung des Regens voraus. Ferner bedarf die Gemeinde zumindest grundsätzlicher Kenntnisse über das anfallende Niederschlagswasser auf dem Grundstück, die Größe und Konzeption des Bauvorhabens sowie die Versickerungs- und Speicherfähigkeit des Bodens, was eine vorhergehende wasserfachliche Untersuchung erfordert.
- Festsetzungsmöglichkeiten im Hinblick auf eine naturnahe Regenwassernutzung – »Zisternenpflicht«
Umstritten ist weiterhin, ob Kommunen Festsetzungen im Hinblick auf eine naturnahe Regenwassernutzung treffen können, etwa zur Nutzung im Haushalt (z. B. in Toiletten, Spül- oder Waschmaschinen oder zur Sammlung des Wassers in einer Zisterne). Die Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 30.8.2001 – 4 CN 9/00, NVwZ 2002, 202 (203); BayVGH, Beschl. v. 13.4.2018 – 9 NE 17.1222, Rn. 40) lehnt die Möglichkeit mangels erforderlichen bodenrechtlichen Bezugs ab, da insbesondere § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB nicht als „ökologische Generalklausel“ zu verstehen sei. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ist es nicht die Aufgabe der Bauleitplanung, sinnvolle ökologische Ziele ohne eine gleichzeitig gegebene, städtebauliche Rechtfertigung durchzusetzen. In der oben genannten Entscheidung stellte das Bundesverwaltungsgericht klar, dass in einem Bebauungsplan keine Festsetzungen i. S. d. § 9 BauGB getroffen werden können, die ein Betreiben von Regenwassernutzungsanlagen verpflichtend für den Grundstückseigentümer vorschreiben. Der Einbau und der Betrieb von Regenwassernutzungsanlagen würden allein der Entscheidung des Grundstückseigentümers unterliegen.
Demgegenüber bejaht die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur diese Möglichkeit, da die Einführung des § 1 Abs. 5 S. 2 BauGB sowie des § 1a Abs. 5 BauGB im Rahmen der Klimaschutznovelle es nunmehr zulässt, dass klimaschützende Motive und Wirkungen unabhängig von ihrem örtlichen Bezug als eigenständige bauleitplanerische und damit städtebauliche Kriterien anzusehen sind (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker, 153. EL Januar 2024, BauGB § 9 Rn. 119a mit weiteren Nachweisen).
- § 9 Abs. 1 Nr. 25 BauGB: Gründächer zur Speicherung der Niederschläge und Verzögerung des Wasserabflusses
Ebenso können Bepflanzungen (Nr. 25a) und Bindungen für Bepflanzungen sowie deren Erhalt (Nr. 25b) festgesetzt werden. Der Wortlaut beschränkt diese Festsetzungsmöglichkeit auf „einzelne Flächen oder für ein Bebauungsplangebiet oder Teile davon sowie für Teile baulicher Anlagen mit Ausnahme der für landwirtschaftliche Nutzungen oder Wald festgesetzten Flächen“. Als Teile baulicher Anlagen kommen insbesondere auch Dächer in Frage (vgl. BeckOK BauGB, Spannowsky/Uechtritz, 62. Ed. 1.10.2023, BauGB § 9 Rn. 116). Deren Begrünung trägt zum einen zur Verbesserung des Mikroklimas und zum anderen zur Speicherung der Niederschläge sowie zur Verzögerung des Wasserabflusses bei. Damit kann einer kurzzeitigen Überlastung der Kanalisation im Falle von Starkregenereignissen entgegengewirkt werden.
III. Fazit
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels stehen die Städte und Gemeinden unter erheblichem Druck, durch Anpassungsmaßnahmen auf die geänderten klimatischen Bedingungen zu reagieren. Das Bauplanungsrecht bietet mit dem Festsetzungskatalog des § 9 Abs. 1 BauGB vielfältige Handlungsoptionen für Kommunen, im Rahmen der Aufstellung oder Änderung von Bebauungsplänen die Grundlagen für eine klimaangepasste Stadt zu schaffen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass gerade im Falle einer Änderung von bestehenden Bebauungsplänen die Kommunen vielfach einem erheblichen Gegenwind (insbesondere von betroffenen Grundstückseigentümern) ausgesetzt sind und vereinzelt auch Entschädigungs- oder Übernahmeansprüche durch entsprechende Änderungen ausgelöst werden können.
Hierbei sind Kommunen gut beraten, durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld der Planung (bzw. im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit nach § 3 Abs. 1 BauGB) für die Vorteile und die Notwendigkeit der vorgesehenen Maßnahmen zu werben. Dies impliziert, dass die rechtlichen Möglichkeiten aber auch die Grenzen einer kommunalen Bauleitplanung im Vorfeld der Planung detailliert herausgearbeitet werden.
Wir beraten Sie zu sämtlichen Fragen der kommunalen Bauleitplanung. Sprechen Sie uns an – wir freuen uns auf Ihre Anfrage!
Würzburg, 15.08.2024
RA Thomas Jäger/Fachanwalt für Verwaltungsrecht