Am 11. Oktober 2024 ist die Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) in Kraft getreten. Die Neufassung erfolgte durch das Bundesverkehrsministerium auf Grundlage des ebenfalls kürzlich reformierten § 6 Abs. 4a StVG. Neben der weiterhin wichtigen Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sind nun im Rahmen der straßenverkehrsbehördlichen Anordnungsbefugnisse auch der Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz sowie die städtebauliche Entwicklung zu berücksichtigen. Dadurch eröffnet die StVO-Novelle den Kommunen neue Handlungsspielräume für eine umweltfreundliche Verkehrswende.

I. Überblick über die wichtigsten praxisrelevanten Änderungen

Nachfolgend geben wir einen kurzen Überblick über die wichtigsten praxisrelevanten Änderungen. Als zentrale Rechtsgrundlage für straßenverkehrsrechtliche Anordnungen steht § 45 StVO im Mittelpunkt der StVO-Novelle.

Sonderfahrstreifen und bevorrechtigende Ampelschaltung für den Busverkehr, angemessene Flächen für Fahrrad- und Fußverkehr: Auf Grundlage des neu eingeführten § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 lit. a, b StVO können die Straßenverkehrsbehörden zur Verbesserung des Umwelt-, Klima- oder Gesundheitsschutzes, oder zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung Anordnungen zur Einrichtung von Sonderfahrstreifen und bevorrechtigenden Ampelschaltungen für Linienbusse anordnen. Aus denselben Gründen können die Straßenverkehrsbehörden auch angemessene Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr anordnen. Dies allerdings nur, sofern die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt ist und die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt wird. Einer qualifizierten Gefahrenlage bedarf es für die Anordnungen nicht, § 45 Abs. 10 Nr. 2 StVO.

Zusätzliche Orte für Tempo-30-Zonen ohne qualifizierte Gefahrenlage: Gem. § 45 Abs. 9 StVO n.F. können Tempo-30-Zonen auch ohne qualifizierte Gefahrenlage an Fußgängerüberwegen, Kindergärten, Kindertagesstätten, Spielplätzen, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern und hochfrequentierten Schulwegen eingeführt werden. Zudem können, ebenfalls ohne qualifizierte Gefahrenlage, auf Streckenabschnitten von bis zu 500 Metern (statt bisher 300 Meter) zwischen zwei Tempo-30-Strecken verbindende Tempo-30 Regelungen angeordnet werden (sog. Lückenschluss, gemäß § 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 4 StVO n.F.).
Fußgängerüberwege, Fahrradzonen und Bussonderfahrstreifen ohne qualifizierte Gefahrenlage: Ebenfalls von dem Erfordernis einer qualifizierten Gefahrenlage befreit ist die Anordnung von Fußgängerüberwegen, Fahrradzonen und Bussonderfahrstreifen, gem. § 45 Abs. 9 Satz 4 Nrn. 7a, 9, 10 StVO n.F. Ausreichend ist eine einfache Gefahrenlage.

Parkraumbewirtschaftung: Nach der alten Rechtslage war die Anordnung von Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen nur als Reaktion auf eine bereits bestehende, erhebliche Belastung durch parkende Fahrzeuge möglich. Die Straßenverkehrsbehörden können nach der neuen Rechtslage nun bereits bei „drohendem erheblichem Parkraummangel“ (§ 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO n.F.) tätig werden. Diese Anordnungen sind auch auf Grundlage eines städtebaulich-verkehrsplanerischen Konzepts, zur Vermeidung von schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt oder zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung zulässig. Allerdings nur, sofern die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt ist und die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt wird.

Antragsrecht der Gemeinden: Nach § 45 Abs. 1j StVO können Gemeinden – wenn und soweit sie nicht selbst als zuständige Straßenverkehrsbehörde anordnungsbefugt sind – bei der nach Landesrecht zuständigen Straßenverkehrsbehörde den Erlass von Anordnungen nach § 45 Abs. 1– 1i beantragen.
Sonderfahrspuren für verschiedene Mobilitätsformen: Kommunen können Sonderfahrspuren für verschiedene Mobilitätsformen erproben, befristet bis zum 31. Dezember 2028. In Betracht kommen z.B. Spuren ausschließlich für elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge oder für Fahrgemeinschaften. Ein Sonderfahrstreifen für Erprobungen darf allerdings nur angeordnet werden, wenn er zur Verkehrssicherheit und zur Leichtigkeit des Verkehrs beiträgt. Dies kann insbesondere dann zu bejahen sein, wenn durch die Sonderfahrstreifen unterschiedliche Anfahrtsgeschwindigkeiten gebündelt werden, welche Kraftfahrzeuge aufgrund ihrer technischen Beschaffenheit haben.

II. Umsetzung der StVO-Novelle

Die StVO-Novelle ermöglicht den Kommunen eine vorausschauende Verkehrsplanung und Parkraumbewirtschaftung, da Maßnahmen zur Verbesserung des Umweltschutzes, des Klimaschutzes und der Gesundheit nicht mehr an das Vorhandensein konkreter Gefahrenlagen gebunden sind. Einige der neu geschaffenen Regelungen ermöglichen dabei die Anordnung von Maßnahmen auf der Grundlage eines städtebaulich-verkehrsplanerischen Konzepts. Um die neuen Anordnungsmöglichkeiten umfassend auszuschöpfen, sollten Kommunen ein solches städtebaulich-verkehrsplanerisches Konzept erarbeiten. Es dient dann als Grundlage, auf deren Basis die Maßnahmen nicht nur effizient umgesetzt, sondern auch fundiert begründet werden können.

Die Verkehrsplanung wird für die Kommunen außerdem dadurch vereinfacht, dass die Anforderung einer „qualifizierten Gefahrenlage“ als Voraussetzung für straßenverkehrsrechtliche Anordnungen in einigen Fällen entfällt. Damit entfällt eine wesentliche (bürokratische) Hürde zur Begründung der Anordnung. Es bliebt jedoch abzuwarten, welche Maßstäbe die Rechtsprechung an die Darlegung einer „einfachen Gefahrenlage“ anlegen wird.

Gleiches gilt für die Auslegung und Anwendung des neu eingefügten § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 StVO durch die Gerichte, insbesondere in Bezug auf die Bereitstellung von „angemessenen“ Flächen für den Fuß- und Radverkehr. Es stellt sich die Frage, wann durch die Bereitstellung dieser Flächen die anderen Verkehrsteilnehmer – insbesondere des motorisierten Individualverkehrs und des öffentlichen Personennahverkehrs – unangemessen eingeschränkt werden. Hier ist eine ausgewogene Verteilung der Flächen, die den Bedürfnissen aller Verkehrsteilnehmer gerecht wird, zu begründen und sicherzustellen.

Im Rahmen des neu eingefügten § 45 I 2 Nr. 7 StVO ist zudem noch ungeklärt, wann eine „Beeinträchtigung der Leichtigkeit des Verkehrs“ vorliegt. Bisher wurde bei der Beurteilung der Leichtigkeit des Verkehrs hauptsächlich auf den motorisierten Verkehr abgestellt. Die Verordnungsbegründung verdeutlicht jedoch nun, dass der „ungehinderte Verkehrsfluss aller Verkehrsteilnehmer“ entscheidend ist. Auch die „Inkaufnahme von Nachteilen bestimmter Verkehrsteilnehmer“ kann gerechtfertigt sein, was eine neue Perspektive in der Verkehrsplanung eröffnet.

III. Fazit und Ausblick

Die bisherige Fokussierung des Straßenverkehrsrechts auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs hat faktisch zu einer Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs geführt. Mit der StVO-Novelle erhalten Kommunen nun neue Möglichkeiten, um auch andere Verkehrsarten zu fördern und den Straßenverkehr umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten. Mit der Novelle der StVO ist die Reform des Straßenverkehrsrechts allerdings noch nicht abgeschlossen. Noch ausstehend ist eine Anpassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) durch das Bundesverkehrsministerium. Diese kann, als Auslegungshilfe für Kommunen und Gerichte, weitere Klarheit bei der Umsetzung der StVO schaffen. Behörden müssen aber nicht auf die Veröffentlichung dieser Verwaltungsvorschrift warten, sondern können bereits jetzt von den neu geschaffenen Befugnissen Gebrauch machen.

Baumann Rechtsanwälte unterstützt und berät gerne zu sich hieran anschließenden Fragen und Möglichkeiten.

Leipzig, den 15.12.2024
Mia Weber

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Rechtsanwalt Dr. Martin Wiesmann
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