Die neuen Regelungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) sind seit Juli 2024 in Kraft und tragen das Aushängeschild: „Beschleunigung, Digitalisierung, Entbürokratisierung“. Ebenfalls ist die Novelle der 9. Bundes-Immissionsschutzverordnung (9. BImSchV, Verordnung über das Genehmigungsverfahren) seit Juli 2024 in Kraft. Die Praxis wird zeigen, ob das Gesamtpaket der neuen Reformen hält, was es verspricht.

Verfahrenserleichterungen sollen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsprozess unter anderem die neuen Fristen-Regelungen bringen. Anlass genug, die maßgeblichen Fristen-Paragraphen einmal unter die Lupe zu nehmen.

1. Was dauert hier eigentlich so lange?

Wer Anlagen, die dem Bundes-Immissionsschutzgesetz unterfallen, errichten oder betreiben will, muss das Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG anstoßen. Von Antragstellung bis Erteilung der Genehmigung dauert es mitunter gut zwei Jahre, obwohl das Gesetz eigentlich wesentlich kürzere Genehmigungsfristen vorsieht. Bislang konnte die Genehmigungsbehörde die Entscheidung über den Genehmigungsantrag dadurch verzögern, dass sie mehrfach Antragsunterlagen nachforderte oder die Genehmigungsfrist wiederholt verlängerte. Dem mehrfachen Nachfordern von Unterlagen soll durch die Gesetzesnovelle mit einer Legaldefinition zur Vollständigkeit und einer „Vollständigkeitsfiktion“ in § 7 der 9. BImSchV entgegengewirkt werden – die Verlängerung der Genehmigungsfrist ist jetzt nur noch einmalig für drei Monate bei entsprechender Begründung möglich; einer weiteren Verlängerung muss der Antragsteller zustimmen (§ 10 Abs. 6a Satz 4 BImSchG).

a) Antragstellung nur noch digital?

Im Zuge der gesetzgeberischen Bestrebung um mehr Digitalisierung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren soll der hierfür vorausgesetzte Antrag – eigentlich – elektronisch eingereicht werden (§ 10 Abs. 1 Satz 1-5 BImSchG). Die Formulierung in § 10 Abs. 1 Satz 6 BImSchG zeigt aber, dass selbst der Gesetzgeber Skepsis hat, ob die Genehmigungsbehörden personell und technisch gut genug ausgestattet sind, um die komplette Antragstellung elektronisch zu erfassen. Im Gesetz heißt es in § 10 Abs. 1 Satz 6 BImSchG: „Erfolgt die Antragstellung elektronisch, kann die zuständige Behörde verlangen, dass die dem Antrag beizufügenden Unterlagen in Papierform übermittelt werden, soweit eine Bearbeitung anders nicht möglich ist.“

Also doch wieder zurück zum Papiertiger? Die praktische Umsetzung des digitalen Wegs wird sich in den Behörden noch beweisen müssen. Begrüßenswert ist der hiermit vorgegebene digitale Ablauf jedoch allemal, denn ein mehrmaliges Ausdrucken und Kopieren sowie anschließendes Verschicken von mehreren hundert Seiten an weitere Beteiligte auf dem Postweg bremst den Genehmigungsprozess ungemein. Aus dem Gesetz lässt sich jedoch auch herauslesen, dass zu befürchten ist, dass sich Antragsteller beliebigen Maßgaben der Behörde unterzuordnen haben, da diese „bezüglich des elektronischen Formats Vorgaben machen“ kann (§ 10 Abs. 1 Satz 4 BImSchG). Ein für Antragsteller klarer, bundeseinheitlicher Weg wird hier – wie in vielen Fragen der Digitalisierung im deutschen Recht – leider nicht zu erwarten sein, was bedeutet, dass sich Vorhabenträger jedes Mal individuell auf die Vorgaben zur „digitalen“ Antragstellung werden einarbeiten müssen.

b) Genehmigungsbehörden jetzt unter mehr Zeitdruck?

Die Genehmigungsfrist gemäß § 10 Abs. 6a Satz 1 BImSchG, in dem geregelt ist, dass über den Genehmigungsantrag nach Eingang des Antrags und der einzureichenden Unterlagen innerhalb einer Frist von sieben Monaten, in vereinfachten Verfahren innerhalb einer Frist von drei Monaten zu entscheiden ist, ist in Verbindung mit § 7 der 9. BImSchV zu lesen.

Entscheidend für die Dauer der Genehmigungsfrist ist, wann diese überhaupt zu laufen beginnt. Vor der Einfügung des neuen § 7 Abs. 1 Satz 4 der 9. BImSchV entsprach es der einhelligen Rechtsauffassung, dass der Vollständigkeit der Unterlagen zentrale Bedeutung zukam, weil aus § 10 Abs. 6a Satz 1 BImSchG der Fristbeginn für die Entscheidungsfrist, also die drei- oder siebenmonatige Genehmigungsfrist, herausgelesen wurde. Danach war Fristbeginn der Zeitpunkt, zu dem die Antragsunterlagen vollständig eingereicht bzw. nach Aufforderung durch die Genehmigungsbehörde ergänzt worden sind. Bekannt ist dieses Prozedere unter dem Begriff „Vollständigkeitsprüfung“.

Mit Einfügung von § 7 Abs. 1 Satz 4 der 9. BImSchV ergeben sich in der Konsequenz drei verschiedene Möglichkeiten zum Beginn der Genehmigungsfrist des § 10 Abs. 6a Satz 1 BImSchG:

1)         Die Genehmigungsbehörde teilt dem Antragsteller mittels Vollständigkeitsbescheinigung mit, dass die Unterlagen vollständig sind, dies setzt die Genehmigungsfrist des § 10 Abs. 6a Satz 1 BImschG in Gang. Entscheidend ist das dem Antragsteller mitgeteilte Vollständigkeitsdatum (siehe aa. und bb.).

2)         Die Genehmigungsbehörde stellt fest, dass der Antrag und die Unterlagen nicht vollständig sind. Sie fordert den Antragsteller innerhalb eines Monats (ausnahmsweise + 2 Wochen, § 7 Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchV) nach Eingang des Antrags und der Unterlagen auf, die Ergänzungen innerhalb einer angemessenen Frist einzureichen. Die Genehmigungsfrist des § 10 Abs. 6a BImschG beginnt mit Eingang der von der Behörde erstmalig nachgeforderten Unterlagen an zu laufen, § 7 Abs. 1 Satz 4 Alternative 2 der 9. BImSchV. Kommt der Antragsteller der Aufforderung nicht innerhalb der gesetzten Frist nach, soll die Behörde den Antrag ablehnen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 der 9. BImSchV).

3)         Die Genehmigungsbehörde teilt dem Antragsteller nach Ablauf der Vollständigkeitsprüfungsfrist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 der 9. BImSchV (1 Monat oder 1 Monat + 2 Wochen) weder mit, dass der Antrag vollständig war noch, dass Unterlagen gefehlt haben. Die Genehmigungsfrist des § 10 Abs. 6a BImschG beginnt mit Ablauf der Vollständigkeitsprüfungsfrist nach § 7 Abs. 1 Satz 4 Alternative 1 der 9. BImSchV in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 der 9. BImSchV zu laufen (siehe unten cc.).

aa. Vollständigkeitsdatum
Da das Datum der Vollständigkeit für den Beginn der Genehmigungsfrist von erheblicher Relevanz ist, wurde in den bestehenden § 7 Abs. 2 Satz 1 der 9. BImSchV eingefügt, dass die Genehmigungsbehörde dem Antragsteller in der Vollständigkeitsbescheinigung das Datum der Vollständigkeit zu nennen hat. Gemäß dem neuen § 7 Abs. 2 Satz 4 der 9. BImSchV kommt es bei dem Vollständigkeitsdatum auf den Eingang der letzten Unterlage an, die für das Erreichen der Vollständigkeit erforderlich ist.

bb. Legaldefinition „vollständige Unterlagen“
Ferner wurde § 7 Abs. 2 Satz 2 der 9. BImSchV neu hinzugefügt, der nunmehr eine Legaldefinition dazu enthält, wann Unterlagen vollständig sind: „Unterlagen sind vollständig, wenn die Unterlagen in einer Weise prüffähig sind, dass sie sich zu allen rechtlich relevanten Aspekten des Vorhabens verhalten, und die Behörde in die Lage versetzen, den Antrag unter Berücksichtigung dieser Vorgaben näher zu prüfen.“ Dabei stehen gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 der 9. BImSchV fachliche Einwände und Nachfragen der Vollständigkeit explizit nicht entgegen. Das bedeutet also, dass ein eingereichtes Gutachten durchaus weitere fachliche Fragen aufwerfen darf, die Unterlagen „zur Prüfung“ aber dann dennoch vollständig sind. Jedenfalls ist diese Auslegung auch der Rechtsprechung zu entnehmen, wonach ein fachliches Nachhaken in Bezug auf die Feststellung der Vollständigkeit unschädlich ist (BayVGH, Beschluss vom 16. September 2016 – 22 ZB 16.304, Rn. 10; BayVGH, Beschluss vom 29. November 2016 – 22 CS 16.2101, Rn. 24). Sehr aufschlussreich ist die Legaldefinition nicht, allerdings kann wohl künftig von Seiten der Antragsteller eingewandt werden, dass die Unterlagen so zusammengestellt wurden, dass sie „prüffähig“ «genug» sind.

cc. Beginn der Genehmigungsfrist durch „Vollständigkeitsfiktion“
Mit Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 4 der 9. BImSchV ist dem Anschein nach zusätzlich auch eine „Vollständigkeitsfiktion“ geregelt worden. Fordert die Behörde den Antragsteller nicht zur Ergänzung des Antrags auf und stellt sie auch keine Vollständigkeitsbescheinigung aus, ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 4 Alternative 1 der 9. BImSchV, die Rechtsfolge, dass hinsichtlich des Fristbeginns – in Ermangelung einer Vollständigkeitsbescheinigung oder einer Aufforderung zur Unterlagenergänzung – von Vollständigkeit „auszugehen“ ist (vgl. Begründung zu den Änderungen der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, BT-Drs. 20/11657, S. 24 i. V. m. S. 38) und die Genehmigungsfrist nach § 10 Abs. 6a BImSchG gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 Alternative 1 der 9. BImSchV „mit Ablauf der Frist nach Satz 1 oder Satz 2“ zu laufen beginnt.

Diese Schlussfolgerung leitet sich daraus ab, dass für den Fall der positiven Vollständigkeitsprüfung der Beginn der Genehmigungsfrist durch Festlegung des „Vollständigkeitsdatums“ in § 7 Abs. 2 Satz 4 der 9. BImSchV fixiert wird und die Vollständigkeitsbescheinigung seit jeher das fristauslösende Ereignis darstellte. Für den Fall der negativen Vollständigkeitsprüfung inklusive Aufforderung zur Ergänzung stellt § 7 Abs. 1 Satz 4 Alternative 2 der 9. BImSchV nunmehr klar, wann die Genehmigungsfrist zu laufen beginnt. Das stimmt ebenfalls mit der bestehenden Rechtsaufassung überein, dass Fristbeginn nämlich auch der Zeitpunkt ist, zu dem die Antragsunterlagen nach Aufforderung durch die Genehmigungsbehörde ergänzt worden sind (vgl. Landmann/Rohmer UmweltR/Dietlein, 103. EL März 2024, BImSchG § 10 Rn. 241). Schließlich muss sich § 7 Abs. 2 Satz 4 Alternative 1 der 9. BImSchV auf den Fall beziehen, dass die Behörde weder eine positive noch eine negative Entscheidung über die Vollständigkeit trifft. Hierin liegt also eine „Fiktion“ der Vollständigkeitsentscheidung, die wiederum den Beginn der Genehmigungsfrist auslöst. Das bedeutet veranschaulicht Folgendes:

Geht der Antrag auf Genehmigung am 01.03. ein und stellt die Genehmigungsbehörde bis zum Ablauf des 01.04. weder eine Vollständigkeitsbescheinigung aus und fordert sie auch nicht zur Ergänzung der Unterlagen auf, beginnt die Genehmigungsfrist nach § 10 Abs. 6a Satz 1 BImSchG gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 Alternative 1 der 9. BImSchV am 02.04. an zu laufen. Die Genehmigungsfrist endet wiederum am 01.07. (drei Monate) oder am 01.11. (sieben Monate), § 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. §§ 188 Abs. 2, 187 Abs. 2 BGB.

Die Genehmigungsfiktion birgt allerdings auch das Risiko, dass später Unterlagen zu einem Vorhaben ausgelegt werden, die an sich überhaupt nicht vollständig sind, was wiederum dazu führt, dass zwar nicht die Behörde, aber die Öffentlichkeit gehalten ist, hiergegen Einwendungen zu erheben. Damit wird die eigentliche Verantwortung einer ordentlichen Prüfung auf Dritte abgewälzt, die mangels vollständiger Unterlagen nur begrenze Informationen zu dem Vorhaben haben und auch keine „Nachforderungskompetenz“ gegenüber dem Antragsteller besitzen.

2. Fazit: Ein zahnloser Tiger?

Die Regelungen zu den Fristen stellen in dem neuen Maßnahmenpaket nur einen Teil der vielen neu gesetzten Stellschrauben im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren dar. Die Frage nach Effizienz- und Beschleunigungspotenzialen wird sich letztlich jedoch nicht danach entscheiden, welche gesetzlichen „Turbo“-Mechanismen geschaffen werden, sondern ob angesichts der personellen Ressourcen in den Behörden die weiterhin nicht weniger komplex werdenden Genehmigungsverfahren für immer speziellere Anlagen bewältigt werden können, ohne dass dies zu Lasten der Umwelt oder der Antragsteller geht. Problematisch ist auch, dass ein Überschreiten von Fristen seitens der Behörde keine wirkliche Konsequenz hat, da hierüber lediglich eine Meldung an die Aufsichtsbehörde zu erfolgen hat (§ 10 Abs. 6a Satz 5 BImSchG).

 

Würzburg, den 30.08.2024

gez. RAin Ariadni von Fournier