Der nachfolgende Fachbeitrag erläutert vor dem Hintergrund einer aktuellen Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Risiken, die von einer Baugenehmigung im Vorgriff auf Festsetzungen eines noch in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans ausgehen – insbesondere mit Blick auf Rechtsbehelfe von anerkannten Umweltvereinigungen.

 

Funktion des § 33 BauGB

 

  • 33 BauGB stellt im System der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften eine Ausnahme dar. Die Vorschrift knüpft – anders als die „üblichen“ Zulässigkeiten nach §§ 30, 34 oder 35 BauGB – nicht an den aktuellen planungsrechtlichen Zustand an, sondern an die zukünftigen Festsetzungen eines noch in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans. Im Ergebnis wird durch § 33 BauGB die Rechtswirkung des Bebauungsplanentwurfs im Verhältnis zwischen Antragsteller, der planenden Gemeinde und der Bauaufsicht vorverlegt und das zur Genehmigung gestellte Vorhaben bereits jetzt nach den künftigen Festsetzungen beurteilt.

Durch diese Überbrückungsfunktion des § 33 BauGB sollen einerseits Verzögerungen im Planaufstellungsverfahren nicht zu Lasten des Bauinteressenten gehen und gleichzeitig dem Prinzip der Planmäßigkeit der städtebaulichen Entwicklung Geltung verschafft werden.

 

In unserer Beratungspraxis begegnet uns immer wieder eine weitere Funktion der vorzeitigen Zulässigkeit nach § 33 BauGB. Aus Sicht der planenden Gemeinden oder bauwilligen Vorhabenträger lässt sich mit § 33 BauGB nicht nur eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren erzielen, sondern zudem ein recht geräuschloser Wechsel von der Planungs- auf die Genehmigungsebene ohne vorherige öffentliche Bekanntmachung des rechtskräftigen Bebauungsplans – und damit ohne die Möglichkeit, gegen diesen gerichtlich vorzugehen. Teilweise ist eine vorzeitige Zulassung nach § 33 BauGB deshalb mit der Annahme verknüpft, hierdurch Rechtsbehelfe insbesondere von anerkannten Umweltvereinigungen zu vermeiden und eine Vorhabenzulassung ohne gerichtliche Überprüfbarkeit umweltbezogener Rechtsvorschriften zu ermöglichen. Dass diese Annahme gleichermaßen riskant wie falsch ist, zeigte eine aktuelle Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts in einem von uns geführten Verfahren.

 

UmwRG bei Zulassung nach § 33 BauGB anwendbar?

 

Diese kreiste primär um die Frage, ob anerkannte Umweltvereinigungen gegen Baugenehmigungen auf der Grundlage von § 33 BauGB vorgehen können und hierzu antrags-/ klagebefugt sind. Dazu müsste es sich bei diesen um Verwaltungsakte i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG handeln, durch die Vorhaben „unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften“ des Bundes-, Landes oder Unionsrechts zugelassen werden. Der Antragsgegner und die beigeladenen Bauherren stellten sich auf den Standpunkt, dass das Prüfprogramm von § 33 BauGB selbst keinerlei umweltbezogene Anforderungen stelle, sondern im Wesentlichen nur die Vereinbarkeit mit den künftigen Festsetzungen des Planentwurfs überprüft werde. Umweltbezogene Rechtsvorschriften seien allein im Bebauungsplanverfahren maßgeblich und könnten somit gerichtlich nur in einem Verfahren nach § 47 VwGO geltend gemacht werden, sobald der Bebauungsplan rechtskräftig bekannt gegeben sei.

 

Das SächsOVG wies mit Beschluss vom 27. September 2023 – 1 B 131/23 – (juris) ebenso wie das zuvor befasste VG Chemnitz diese formalistische Argumentation zurück und bestätigte die Antrags- und Klagebefugnis nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG. Dies erforderte keine erweiternde Auslegung des UmwRG unter Rückgriff auf die unions- und völkerrechtlichen Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention i.V.m. Art. 47 GR-Charta, sondern folgt bereits aus dem vorgegebenen Prüfumfang des einfachen Rechts.

 

Denn § 33 BauGB setzt insbesondere die materiell Planreife voraus. Diese erfordert die hinreichend sichere Prognose, dass der Planentwurf in seiner zugrunde gelegten Fassung zeitnah als Ortsrecht Geltung erlangen wird. An dieser hinreichend sicheren Prognose fehlt es, wenn der Planentwurf an rechtlichen Mängeln leidet, insbesondere den Anforderungen des Abwägungsgebotes nicht genügt. Damit setzt § 33 BauGB stets eine Inzidentkontrolle des Planentwurfs voraus. Soweit diese Inzidentkontrolle umweltbezogene Vorschriften betrifft – und dies ist regelmäßig der Fall –, handelt es sich bei § 33 BauGB um eine Zulassungsvorschrift mit Umweltbezug i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG.

 

Darüber hinaus können die Festsetzungen des Bebauungsplans selbst umweltbezogene Vorschriften i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG darstellen, die bei der Zulassungsentscheidung unstreitig zur Anwendung kommen. Das SächsOVG schließ sich insofern ausdrücklich der obergerichtlichen Rechtsprechung an, wonach auch kommunale Rechtsvorschriften im allgemeinen staatsrechtlichen Sprachgebrauch als Vorschriften des Landesrechts i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG zu werten sind. Diese Feststellung ist weit über die hier entschiedene Konstellation von Bedeutung und betrifft sämtliche „klassischen“ Baugenehmigungen nach § 30 BauGB.

 

Damit verdeutlicht die Entscheidung des SächsOVG einmal mehr, dass die Klagebefugnis nach dem UmwRG durch die Formulierung der „umweltbezogenen Rechtsvorschriften“ einen breiten Anwendungsbereich erfährt. Denn der Auffangtatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG ist nach ständiger Rechtsprechung weit auszulegen, um den Zielen des Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention und dem Ziel eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 47 der EU-Grundrechtecharta gerecht zu werden. Damit ist insbesondere das Bauplanungsrecht weitgehend für Rechtsbehelfe nach dem UmwRG geöffnet. Im Anschluss an die Entscheidung des OVG ist jedenfalls klargestellt, dass eine Baugenehmigung auf Grundlage von § 33 BauGB kein geeignetes taktisches Instrument ist, um die gerichtliche Überprüfung der Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften auszuhebeln.

 

Weitere Risiken von § 33 BauGB

 

Neben der zentralen Frage des UmwRG verdeutlicht die Entscheidung auch weitere prozessuale und materiell-rechtliche Risiken eines solchen Vorgehens über § 33 BauGB. Denn sowohl die Baugenehmigungsbehörde als auch das Gericht sind nicht nur zur Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit der Festsetzungen berufen, sondern verpflichtet. Da ein rechtsförmiger und bekannt gemachter Bebauungsplan gerade noch nicht vorliegt, steht der behördlichen Inzidentprüfung nicht Art. 28 Abs. 2 GG und die Frage der behördlichen Normverwerfungskompetenz entgegen. Aus demselben Grund ist auch die ständige Rechtsprechung, wonach im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich von der Wirksamkeit der Satzung auszugehen und von einer Inzidenprüfung abzusehen ist, bei einer vorzeitigen Zulassung nach § 33 BauGB nicht einschlägig.

 

Zudem kann eine bewusste und taktische Verzögerung des Satzungsbeschlusses den Rückgriff auf eine vorzeitige Zulassung rechtsmissbräuchlich machen und zur Unanwendbarkeit des § 33 BauGB angesichts dessen reiner Überbrückungsfunktion führen. Wann dies der Fall ist, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Auch das SächsOVG hat diese Frage im Beschluss vom 27.September 2023 – 1 B 131/23 – ausdrücklich offengelassen.

 

Leipzig, 20.11.2023

 

gez. Dr. Martin Wiesmann/ Rechtsanwalt