Mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel und die anhaltende Verfehlung der gesetzlichen Klimaschutzziele in der Bundesrepublik Deutschland mindestens in den Sektoren Verkehr und Gebäude (vgl. zuletzt die Mitteilung des Umweltbundesamtes vom 15.03.2023 unter https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/uba-prognose-treibhausgasemissionen-sanken-2022-um) stellt sich immer drängender die Frage, wie die Belange des Klimaschutzes bei der Entscheidung über die Zulassung klimaschädlicher Vorhaben angemessen berücksichtigt werden können.

 

Dabei kann angenommen werden, dass die Berücksichtigung der Klimaschutzbelange bei jedem einzelnen Vorhaben dann an Relevanz verliert, wenn im europäischen Recht ein funktionierendes Emissionshandelssystem mit umfassender

Gesamtmengenbegrenzung gemäß den Reduktionsvorgaben des EU-Klimaschutzgesetzes verbindlich eingeführt wird (sog. cap and trade-System). Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem von der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte mit herbeigeführten Klimaschutzbeschluss vom 24.03.2021 (1 BvR 2556/18 u.a.) geforderte freiheitsschonende Verteilung der Minderungslasten für Treibhausgase wird dann gegebenenfalls durch das EU-Recht gesichert. Das von der EU mit der Emissionshandelsrichtlinie 2003 eingeführte System (Emission Trading System, ETS) erfasst aber bisher nur die Sektoren Energie,

energieintensive Industrie und mittlerweile auch den innereuropäischen Flugverkehr. Mit dem von der Kommission vorgeschlagenen ETS II kämen u.a. die Sektoren Gebäude und Verkehr hinzu, womit rund 85 % aller deutschen THG-Emissionen abgedeckt wären. Nach aktuellem Diskussionsstand auf europäischer Ebene wird mit einem ETS II aber wohl frühestens ab ca. 2026, für einige Sektoren sogar erst ab 2029 gerechnet werden können.

 

Eben weil ein wirksamer europäischer Emissionshandel noch auf sich warten lässt, muss das deutsche Fachplanungsrecht einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Der Gesetzgeber hat hierfür das Berücksichtigungsgebot in § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG geschaffen. Aus den bisherigen Fortschrittsberichten des Expertenrats für Klimafragen (vgl. etwa das Zweijahresgutachten 2022 04.11.2022, abrufbar unter https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2022/11/ERK2022_Zweijahresgutachten.pdf) wird mehr als deutlich, dass bisher dem Klimaschutzgebot aus Art. 20 a GG gerade nicht effektiv nachgekommen wird, weil bei Fortführung der bisherigen Entwicklung nahezu alle Sektoren wie auch die Emissionen insgesamt die Ziele des Klimaschutzgesetzes für das Jahr 2030 signifikant verfehlen werden.

 

Wenn also wie bisher eine Planungs-, Zulassungs- und Entscheidungspraxis fortgeführt wird, die klimaschädliche Vorhaben letztlich ins Blaue hinein und ohne Rücksicht auf die Belange des Klimaschutzes realisiert, werden die Ziele 2030 absehbar verfehlt, und damit das deutsche Budget bis 2030 deutlich überschritten. Ob global das 1,5°C-Ziel noch erreichbar ist, ist offen. Klar ist aber, dass intensive Anstrengungen in sehr kurzer Zeit unternommen werden müssen, damit das Ziel noch erreicht werden kann. Hier kann das Berücksichtigungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG einen wichtigen Beitrag leisten, um zu verhindern, dass in der deutschen Planungspraxis im Sinne eines „weiter so“ THG-intensive Vorhaben zugelassen werden. Denn § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG erfordert es, in einem ersten Schritt die Klimaauswirkungen (auch mittelbare) eines jeden Vorhabens oder Plans sorgfältig und quantitativ zu ermitteln. Sodann sind in einem zweiten Schritt die konkreten Auswirkungen in Bezug zu den Sektorenzielen des KSG zu setzen und es ist zu bewerten, ob sie die Einhaltung der Jahresmengen der jeweiligen Sektoren behindern oder gefährden oder der Einhaltung sogar entgegenstehen. Dieser Befund ist in einem dritten Schritt entsprechend seines eigenen Gewichts (Gefährdung der Ziele) und der abstrakt-materiellen Bedeutung des Klimaschutzes in die Abwägung einzustellen. Werden Sektorenziele im Zulassungsjahr und während der Lebensdauer des Vorhabens überschritten und existiert kein schlüssiges Minderungskonzept, das eine Rückkehr auf den Zielpfad für die Erfüllung der Minderungsziele in dem jeweiligen Sektor gewährleistet, kann nur in Ausnahmefällen eine Genehmigung für das Vorhaben erteilt werden – jedenfalls solange auch nicht auf andere Weise sichergestellt ist, dass dem Klimaschutzgebot den Verfassungsvorgaben entsprechend Rechnung getragen wird. § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG kann damit als zeitlich begrenzte Nothilfe im Übergang zu einem europäisch wirksamen Klimarecht wirken.

 

Aus hiesiger Sicht kann und sollte § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG damit in Sektoren, die aktuell die THG-Minderungsziele verfehlen und für die kein schlüssiges Minderungskonzept existiert, wie dies etwa im Sektor Verkehr aktuell der Fall ist, als „Veränderungssperre“ verstanden werden, die eine Zulassung etwa des Neubaus von solchen Straßen, deren Klimabilanz negativ ist, verhindert, bis der Sektor Verkehr auf Zielpfad ist. Angesichts der kontinuierlichen Verfehlung der Klimaschutzziele im Verkehrssektor ist nicht erkennbar, welches öffentliche Interesse etwa am Bau solcher neuen Straßen bestehen soll, die nachweislich keinen Engpass beheben, sondern vor allem sog. induzierte Verkehre erzeugen, also Verkehr, der ohne den Bau der Straße gar nicht anfallen würde und erst durch den Bau einer Straße entsteht. Von solchen Vorhaben zumindest für einen Übergangszeitraum Abstand zu nehmen, ist schlicht und ergreifend vernünftig.

 

Dieser Beitrag ist eine Kurzzusammenfassung der ausführlichen Publikation „Das Gebot der Berücksichtigung des Klimaschutzes auf Vorhabenebene – de lege lata und de lege ferenda“, die Dr. Franziska Heß gemeinsam mit John Peters, Philipp Schöneberger und Dr. Roda Verheyen verfasst hat. Die Publikation ist in der NVwZ 2023, Seite 113 ff. erschienen.