Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in dem Urteil vom 04.05.2022 seine Rechtsprechung zu Neubauten innerhalb des für den Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) festgesetzten Tag- und Nachtschutzgebietes fortgeführt. Dabei hat es insbesondere klargestellt, wie der Begriff der Bebaubarkeit im Sinne der Lärmschutzauflagen in Teil A II Ziffer 5.1.2 Satz 3 sowie Teil A II Ziffer 5.1.3 Satz 4 des Planfeststellungsbeschlusses (nachfolgend PFB BER) auszulegen sei.

Die Kläger hatten sich im Jahr 2017 bereits vor Errichtung ihres Einfamilienhauses wegen der schallschutztechnischen Ertüchtigung an die Beklagte gewandt. Diese teilte ihnen jedoch lediglich die prognostizierte Fluglärmbelastung für das Grundstück mit und führte aus, dass die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erst im Zuge einer etwaigen Antragsbearbeitung erfolge.

Die Kläger erhielten nach Errichtung des Hauses im Jahr 2018 und erfolgter Bestandsaufnahme zunächst eine Anspruchsermittlung Baulicher Schallschutz (ASE-B), der Umfang der zu erstattenden Aufwendungen für Maßnahmen des baulichen Schallschutzes war aber auf sog. Differenzkosten beschränkt.
Im Verfahren lehnte die Beklagte jedoch die Übernahme sämtlicher Schallschutzansprüche unter Verweis auf die Stichtagsregelung (Bebaubarkeit des Grundstücks zum 15.05.2000) ab. Der Bebauungsplan aus dem Jahr 1996 weise Festsetzungsmängel auf, welche seine Unwirksamkeit zur Folge gehabt hätten. Außerdem sei zum Stichtag die Erschließung des Grundstücks nicht gesichert gewesen.

Anknüpfend an seine Rechtsprechung in dem Urteil vom 06.05.2020 (Az. OVG 6 A 9/20) hat das Gericht entschieden, dass der Erstattungsanspruch nicht auf die sog. Differenzkosten beschränkt sei.
Die Beklagte sei nach dem PFB BER auch bei Neubauten gehalten, die Planung der erforderlichen Maßnahmen auf eigene Kosten vorzunehmen (vgl. Senatsurteil vom 6. Mai 2021 – OVG 6 A 9/20 -, Rn. 37 f.).
Dieser Verantwortung sei die Beklagte im vorliegenden Fall nicht gerecht geworden, denn sie habe sich darauf beschränkt, den Klägern vor Baubeginn lediglich eine Alternativplanung mit und ohne Schallschutzmaßnahmen nach dem PFB BER zu empfehlen. Vielmehr hätte die Beklagte in einem möglichst frühen Stadium des Neubauvorhabens auf die Einhaltung der Schutzauflagen hinwirken müssen.

Dem Anspruch der Kläger stand die von der Beklagten geltend gemachte fehlende Bebaubarkeit des Grundstücks zum Stichtag 15.05.2000 entgegen.
Anknüpfend an das Urteil des Senats vom 25.06.2021 (Az. OVG 6 A 11/20) ist die Bebaubarkeit im Sinne des PFB BER gegeben, wenn das Grundstück zum Stichtag entweder im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes oder im sog. Innenbereich (im Zusammenhang bebaute Ortsteile im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB) lag (vgl. Senatsurteil vom 04.05.2022 – OVG 6 A 18/21 -, Rn. 37).

Der Senat führt aus, dass es im vorliegenden allein auf die Lage innerhalb des Geltungsbereichs des betreffenden Bebauungsplans ankomme (vgl. Senatsurteil vom 04.05.2022 – OVG 6 A 18/21 -, Rn. 39). Die von der Beklagten geltend gemachten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bebauungsplanes seien insoweit unbeachtlich.
Ihr stehe keine Verwerfungskompetenz zu, denn die Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplanes gehöre nicht zum Prüfprogramm der Beklagten bei der Gewährung von Schallschutz nach den Auflagen des PFB BER (Senatsurteil vom 04.05.2022 – OVG 6 A 18/21 -, Rn. 40).

Eine Inzidentkontrolle des Bebauungsplanes sei außerhalb der Normenkontrollfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes lediglich bei der Überprüfung von Baugenehmigungen aufgrund des Bebauungsplanes vorgesehen und setzte überdies die Verletzung subjektiver Rechte des Betroffenen durch diesen Vollzugsakt voraus (Senatsurteil vom 04.05.2022 – OVG 6 A 18/21 -, Rn. 41).
Die Beklagte sei aber als Vorhabenträgerin nicht in einer einem Bürger vergleichbaren Position, sondern werde bei der Prüfung und Gewährung der Schallschutzansprüche ähnlich wie eine Behörde tätig, die ihr gesetzlich übertragene Aufgaben wahrnehme (Senatsurteil vom 04.05.2022 – OVG 6 A 18/21 -, Rn. 42).

Einer Prüfungskompetenz der Beklagten stehen außerdem Sinn und Zweck der Stichtagsregelung entgegen. Denn damit werde neben der Rechtsicherheit auch eine praktische Handhabbarkeit verfolgt, die durch eine im Zweifel mehrere Jahrzehnte später erfolgende Inzidentkontrolle vereitelt würde (Senatsurteil vom 04.05.2022 – OVG 6 A 18/21 -, Rn. 47).
Auch auf eine gesicherte Erschließung des Grundstücks zum Stichtag 15.05.2000 kommt es insoweit nicht an, denn dieses Erfordernis knüpfe an ein konkretes Vorhaben an. Zum Stichtag müsse aber nur die Bebaubarkeit des Grundstücks gegeben gewesen sein, nicht aber eine Baugenehmigung erteilt worden sein (Senatsurteil vom 04.05.2022 – OVG 6 A 18/21 -, Rn. 49 f.).

In Zusammenschau mit der Entscheidung vom 25.06.2021 hat der erkennende Senat abschließend die Reichweite der Stichtagsregelung (Bebaubarkeit zum 15.05.2000) geklärt. Zwar ist die Lage eines Grundstücks im Innenbereich zum 15.05.2000 nachträglich schwierig zu rekonstruieren. Jedoch können Antragsteller, deren Grundstück bereits zum 15.05.2000 im Geltungsbereich eines Bebauungsplans lag, davon ausgehen, dass ihrer Anspruchsberechtigung weder die Stichtagsregelung noch etwaige Rechtmäßigkeitszweifel der FBB GmbH betreffend den jeweiligen Bebauungsplan entgegenstehen.

Da die Entscheidung erneut die Praxis der FBB GmbH, im Falle von Neubauten nur die sog. Differenzkosten zu erstatten, für unvereinbar mit den Vorgaben des PFB BER erklärt hat, sollte sie im wohlverstandenen Eigeninteresse betroffenen Antragstellern eine vollständige Anspruchsermittlung zukommen lassen und sämtliche Kosten der Ertüchtigung tragen. Dies gilt jedenfalls für diejenigen Neubauten, die vor Veröffentlichung des entsprechenden Leitfadens durch die FBB GmbH errichtet worden sind.

Leipzig, 22.07.2022
gez. Rechtsanwalt Martin Beier, LL.M.oec.