Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, Bünd-nis90/Die Grünen und FDP aus Anlass der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 4. Juli 2022

Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnatur-schutzgesetzes (BT-Drs. 20/2354)

von Rechtsanwältin Dr. iur. Franziska Heß Fachanwältin für Verwal-tungsrecht, Lehrbeauftragte an der Universität Leipzig

Das grundsätzliche Anliegen des Gesetzentwurfes, für einen zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und dabei insbesondere auch der Windenergie an Land zu sorgen, ist im Lichte des Ziels, bis spätestens 2045 in Deutschland Netto-Treibhausgasneutralität zu erreichen, vorbehaltlos unterstützungswürdig. Damit dies gelingen kann, braucht es die mit dem Entwurf verfolgte Beschleunigung und Vereinfachung in den entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren ohne jeden Zweifel.

Allerdings bestehen Zweifel, dass mit dem Entwurf in der vorliegenden Fassung die wesentlichen Ursachen der Verzögerung von Planungs- und Genehmigungsverfahren erfasst und beseitigt werden. Auch gelingt es dem Entwurf leider nicht, einen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele zu erreichen, ohne das ökologische Schutzniveau abzusenken. Das eigentliche Ziel der geplanten Änderung des BNatSchG, nämlich zügige und rechtssichere Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen zu ermöglichen, unter gleichzeitiger Wahrung hoher und insbesondere unionsrechtlich gebotener ökologischer Standards, wird durch den Entwurf in der vorliegenden Fassung nicht erreicht.

Dies ist deshalb fatal, weil die aktuelle Lage des Biodiversitätsschutzes keinen Anlass bietet, in den Anstrengungen nachzulassen. Nach Auswertung des aktuellen FFH- und Vogelschutzberichts (2019/2020) ergibt sich ein düsteres Bild. Bei den Lebensräumen wird in Deutschland insgesamt ein günstiger Erhaltungszustand nur bei 30 Prozent der 93 Lebensraumtypen (LRT) erreicht, 32 Prozent weisen einen ungünstig-unzureichenden und 37 Prozent sogar einen ungünstig schlechten Erhaltungszustand auf.[1] Für die Arten zeichnet sich ein ebenso unzureichendes Bild ab, nur 25 Prozent der Arten von gemeinschaftlicher Bedeutung weisen einen günstigen Erhaltungszustand auf, 30 Prozent einen unzureichenden und 33 Prozent einen schlechten. Bezüglich der Trends haben nur 50 Prozent der Arten und 54 Prozent der Lebensräume einen stabilen oder sich verbessernden Trend, 34 Prozent bzw. 41 Prozent einen sich verschlechternden Trend.[2] Für Brutvogelarten ergibt sich ein weitgehend ausgeglichener Trend, jeweils ca. ein Drittel weisen zunehmende, stabile oder abnehmende Trends auf, fünf Arten sind seit 1980 ausgestorben.[3] Angesichts der Zielstellung des günstigen Erhaltungszustand aller Lebensräume und Arten von gemeinschaftlicher Bedeutung ist zu konstatieren, dass die Ziele des Biodiversitätsschutzes im Hinblick auf Lebensräume und Arten weiterhin verfehlt werden.

Deshalb ist der Gesetzgeber aus meiner Sicht gut beraten, den Konflikt zwischen dem Ziel eines beschleunigten Windkraftausbaus mit den Zielsetzungen des Artenschutzes als wesentlicher Bestandteil zur Stärkung der Biodiversität nicht einseitig zu Lasten des Artenschutzes aufzulösen, sondern aus ausgewogenes Regelungsregime zu schaffen, das beiden Anliegen in möglichst optimaler Weise Rechnung trägt.

Zugleich sollte der Gesetzgeber das eigentliche Anliegen im Blick behalten, nämlich die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energie. Deshalb besteht kein Anlass für eine generelle Änderung des BNatSchG, sondern die neu Regelungen sollten beschränkt werden, auf die im Wege der Positivplanung im Sinne des Wind-an-Land-Gesetzes geschaffenen Flächen.

I. Vorbemerkung zu den Ursachen der Verfahrensverzögerung

Nach meinen praktischen Erfahrungen aus 14 Jahren anwaltlicher Tätigkeit im Umwelt- und Planungsrecht sind die Ursachen der vielfach beklagten langen Dauer von Genehmigungsverfahren vielfältig und können nicht allein durch Absenkung der artenschutzrechtlichen Standards beseitigt werden.

So ist insbesondere die Phase der Zusammenstellung der notwendigen Daten und Unterlagen für Vorhabenträger bereits mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, weil es an einer systematischen Erfassung und Bereitstellung von planungsrechtlich relevanten Daten ebenso fehlt wie an Umweltdaten.

So sind in manchen Geoinformationssystemen zwar beispielsweise Bebauungspläne hinterlegt, allerdings nur dann, wenn die Gemeinden diese auch eingestellt haben. Die Belange der Bauleitplanung müssen von den Vorhabenträgern insoweit über Vorabfragen oder im Rahmen der Beteiligung als Träger öffentlicher Belange letztlich einzeln abgefragt werden.

Natura-2000-Gebiete sind grundsätzlich in allen Geoinformationssystemen hinterlegt. Aufgrund der mangelhaften Umsetzung der FFH-RL in Deutschland (siehe die Klage der EU-Kommission gegen die BRD, EuGH RS C-116/22), liegen jedoch teilweise noch keine Managementpläne für FFH-Gebiete vor, geschweige denn aktuelle Geodaten, mit deren Hilfe die räumliche Lage von Arten- oder Lebensraumtypen bestimmt werden könnte.

Grundsätzlich gibt es bislang kein Portal und auch keine gesetzliche Vorgabe, für ein Vorhaben kartierte Artenvorkommen in ein zentrales Geoportal einzuspeisen, damit diese Daten auch anderen Planungsträgern nachfolgender Planungen zur Verfügung stehen.

Allein diese beispielhafte Aufzählung verdeutlicht, dass letztlich bei jedem neuen Vorhaben die Ermittlung und Darstellung der Umweltbelange „von 0 auf“ begonnen werden muss. Selbst wenn beispielsweise ein neuer Windpark neben einer erst kürzlich geplanten Stromtrasse errichtet werden soll, so sind die ermittelten Daten im Rahmen des Vorhabens zum Netzausbau für die Planungsträger des hinzutretenden Vorhabens grundsätzlich nicht ohne größeren Aufwand zugänglich. Hier sollte der Gesetzgeber dringend überlegen, wie bereits gewonnene Erkenntnisse über die Ausstattung untersuchter Naturräume systematisch erfasst und zur Verfügung gestellt werden können, wobei zugleich Vorkehrungen getroffen werden müssten, um einen Missbrauch von Daten auszuschließen. Insbesondere die Möglichkeiten des § 6 Abs. 2 BNatSchG sollten deutlich intensiver genutzt und zugleich durch Vorgaben für die Standardisierung von Datenerhebungen für einheitliche Qualitätsstandards Sorge getragen werden.

Nach meiner Erfahrung ist zudem die Phase zwischen dem Abschluss der Öffentlichkeit und der Erteilung einer Genehmigung durch die zuständigen Behörden eine weitere Phase, in der unnötig Zeit verloren geht. Eine effektive Bewältigung des anspruchsvollen materiellen Umweltrechts, das sich nicht nur auf den Artenschutz beschränkt, sondern auch habitatschutzrechtliche und wasserrechtliche Vorgaben u.w.m. enthält, setzt im 21. Jahrhundert zwingend einen Einsatz digitaler Hilfsmittel voraus. Im behördlichen Bereich bestehen hier noch ganz erhebliche Spielräume und entsprechendes Beschleunigungs- und Vereinfachungspotential. Im Koalitionsvertrag wird dieses Potential durchaus erkannt, allerdings ist nicht erkennbar, dass bereits Anstrengungen unternommen wurden, um die elektronische und digitale, aber auch die personale Ausstattung der Behörden so zu verbessern, dass die Behörden auch tatsächlich in die Lage versetzt werden, dem Wunsch des Gesetzgebers nach einer Beschleunigung der Genehmigungsverfahren zu entsprechend.

Aus meiner Sicht sind Beschleunigungsstrategien, die diese Rahmenbedingungen außer Betracht lassen, nur von begrenzter Wirkung und laufen letztlich darauf hinaus, dass eine Beschleunigung (allein) über die Absenkung materieller Zulassungsstandards erreicht werden soll.

Schließlich sollte genauer überlegt werden, ob die geplante Änderung des BnatSchG für ganz Deutschland vs Wirkung der Änderungen ausschließlich für rechtssicher ausgewiesene Windenergiegebiete nach WaLG (also die durchnittlich 2% Fläche)?

II. Zum Gesetzentwurf im Einzelnen

1. § 26 BNatSchG-E

Ausweislich der Begründung soll der neu eingeführte § 26 Absatz 3 zu einer größeren Flächenverfügbarkeit für den Ausbau von Windenergie an Land führen, indem Landschaftsschutzgebiete für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen zugelassen werden können, wenn sich der betreffende Standort in einem Gebiet befindet, das nach § 2 Nr. 1 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes für die Windenergienutzung ausgewiesen ist.

Entgegenstehende Bestimmungen der Erklärung zur Unterschutzstellung nach § 22 BNatSchG bei bestehenden LSG-Verordnungen werden insoweit außer Kraft gesetzt, einer zusätzliche Ausnahme nach der Landschaftsschutzgebietsverordnung oder einer Befreiung nach § 67 bedarf es nicht mehr.

Sodann heißt es im BNatSchG-E:

„Solange ein Land bzw. ein regionaler oder kommunaler Planungsträger die von ihm zu erfüllenden Flächenaus-weisungsziele nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz nicht erreicht, sollen Windenergieanlagen innerhalb von Landschaftsschutzgebieten zudem auch außerhalb von planerisch für die Windenergie ausgewiesenen Gebieten zugelassen werden können. Die vorgenannten Regelungen gelten jedoch nicht für Standorte, die in Natura 2000-Gebieten oder Stätten zum Schutz des Weltkultur- oder Naturerbes liegen.“

Mit der Neuregelung ist eine weitgehende Öffnung der LSG für WEA verbunden, die mit Blick auf die Notwendigkeit, ausreichend Flächen für WEA zur Verfügung zu stellen grundsätzlich sinnvoll und jedenfalls bis zur Erreichung der Flächenausweisungsziele auch notwendig erscheint. Allerdings berücksichtigt der Entwurf nicht, dass jedenfalls die seit 2009 erlassenen oder geänderten LSG-VO häufig ausdrücklich auch dem Schutz von geschützten Lebensräumen und Arten dienen, für die durch die Neuregelungen die Schutzwirkung beseitigt wird. Die hiergegen von RA Prof. Dr. Gellermann angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken teile ich und verweise zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen Stellungnahme vom 27.06.2022. Zugleich schließe ich mich der Forderung an, parallel zur Öffnung der Landschaftsschutzgebiete alle Natura 2000-Gebiete sowie sämtliche Nationalparks, Nationalen Naturmonumente, Naturschutzgebiete und Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten (Zone 1 und 2) zu „absoluten Tabuzonen“ für die zu erklären, in denen WEA auch im Wege einer Ausnahme oder Befreiung nicht zugelassen werden dürfen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung in § 26 Abs. 3 BNatSchG-E – wie letztlich das gesamte BNatSchG-E – im Zusammenhang mit dem parallel in das Aufstellungsverfahren gebrachten Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) gelesen werden muss. Das WindBG setzt auf einen neuen Ansatz der Verpflichtung zur Positivplanung von Flächen für die Windkraft auf Ebene der Länder unter gleichzeitigem Abbau bisher aufgrund der Rechtsprechung bestehender hoher fachlicher und rechtlicher Hürden. Dabei setzt insbesondere der in diesem Zuge vorgeschlagene neue § 249 BauGB darauf, dass aus kommunaler und regionaler Sicht und aus Sicht der Bundesländer das positive und aktive Ausweisen von Flächen auf planerischer Ebene mit dem Ziel des Erreichens der vorgegebenen Flächenziele attraktiv gemacht wird, indem die Planungen fachliche und rechtlich erleichtert und in gewisser Weise privilegiert wird. Die strikte Verbindlichkeit der Flächenziele in den Stichjahren 2026 und 2032 wird an konkrete Sanktionen für den Fall der Zielverfehlung gebunden, die sich insbesondere in einer ungesteuerten privilegierten Zulässigkeit von WEA im jeweils von der Zielverfehlung betroffenen Planungsraum zeigt. Umgekehrt wird eine Belohnung für das Erreichen des Flächenziele geschaffen, indem die fraglichen Anlagen in diesem Fall ihre Privilegierung im Außenbereich verlieren. Der insoweit eingeschlagene Weg ist aus meiner Sicht sehr sinnvoll und die für den Ausbau der Windkraft notwendige Befreiung von den speziell für Kommunen und Planungsverbände praktisch kaum noch fachlich und rechtlich leistbaren hohen Hürden für die planerische Ausweisung von Flächen für die Windkraft.

Gerade in dieses neu ausdifferenzierte System der Positivplanung fügt sich der vorgeschlagene § 26 Abs. 3 Satz 4 BNatSchG-E nicht sinnvoll ein, jedenfalls nicht vor 2026. Hier ist unverständlich, wieso auch außerhalb von planerisch für die Windenergie ausgewiesenen Gebieten in LSG Anlagen ohne weiteres zulässig sein sollen. Der dem WindBG zu entnehmende Grundansatz, die Länder rasch zur planerischen Ausweisung von Windenergieflächen zu bringen und der hierbei zum Ausdruck kommende                 Vorrang der Planung wird für die LSG verlassen. Mindestens sollte die Regelung an die Stichtagsregelungen des § 3 WindBG geknüpft werden, um einen Gleichklang von BauGB und BNatSchG zu erreichen. Es ist nicht einsichtig, wieso die Privilegierung von WEA im Außenbereich nach dem BauGB erst nach dem 31.12.2026 bei Zielverfehlung greifen soll, bei LSG aber sofort. Der grundsätzlichen und sofortigen Verfügbarkeit der LSG-Flächen für WEA, die innerhalb planerisch ausgewiesener Gebiete liegen, würde eine solche Regelung nicht entgegenstehen.

2. § 45b BNatSchG-E

a) Überblck

45b BNatSchG ist überschrieben mit „Betrieb von Windenergieanlagen an Land“ und trifft ausweislich Abs. 1 nähere Regelungen für die fachliche Beurteilung, ob nach § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare kollisionsgefährdeter Brutvogelarten im Umfeld ihrer Brutplätze durch den Betrieb von Windenergieanlagen signifikant erhöht ist (vgl. Absätze 2 bis 5 BNatSchG-E). Die genannten Bestimmungen zur fachlichen Beurteilung der signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos beziehen sich also allein auf Brutvogelarten. Dabei sieht der Entwurf gestufte brutplatzbezogene Abstandsvorgaben vor, deren Unterschreitung jeweils andere Rechtsfolgen auslöst. Unterschieden wird zwischen einem „Nahbereich“ im direkten Umfeld des Brutplatzes (Abs. 2), in dem ein erhöhtes Tötungsrisiko unwiderleglich vermutet wird, einem „zentralen Prüfbereich“ (Abs. 3), in dem eine widerlegliche Vermutung für eine Erhöhung des Tötungsrisikos besteht und einem „erweiterten Prüfbereich“ (Abs. 4), in dem umgekehrt die widerlegliche Vermutung eines nicht signifikant erhöhten Tötungsrisikos begründet wird. Bei größeren Abständen sieht Abs. 5 vor, dass eine unwiderlegliche Vermutung für das Fehlen einer signifikanten Risikoerhöhung besteht und keine weiteren Schutzmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Abs. 6 legt i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 2 „fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen“ für die in Anlage 1 Abschnitt 1 genannten Brutvogelarten fest und schreibt damit von Gesetzes wegen die fachliche Eignung der in Anlage 1 Abschnitt genannten Maßnahmen fest. Zugleich trifft Abs. 6 Satz 2 ff. Bestimmungen zur Verhältnismäßigkeit von Abschaltungen von Anlage als Schutzmaßnahmen. Abs. 7 begründet ein Verbot des Aufhängens von Nisthilfen in einem bestimmten Umkreis um WEA. Schließlich enthalten Abs. 8 und 9 Bestimmungen zur Konkretisierung des Anwendung des § 45 Abs. 7 BNatSchG und treffen Regelungen zur Alternativenprüfung, zum öffentlichen Interesse und zu FCS-Maßnahmen.

Zur Begründung des neuen § 45b BNatSchG-E wird ausgeführt (BT-Drucksache 20/2354, S. 23), der Entwurf folge der Mahnung des BVerfG, für den Umgang mit auf naturschutzrechtliche Zusammenhänge verweisenden Tatbestandsmerkmalen für eine zumindest untergesetzliche Maßstabsbildung zu sorgen, indem bundeseinheitliche Anforderungen an die Beurteilung des signifikant erhöhten Tötungs- und Verletzungsrisikos für Brutvögel geregelt werden.

Unter Verweis auf die obigen Vorbemerkungen zu den Verzögerungsursachen ist nach den Erfahrungen der Praxis eine Standardisierung umweltfachlicher Prüfprozesse und damit die Schaffung klarer und einheitlicher Anwendungsregeln unbedingt zu begrüßen. Gleiches gilt für die dem WindBG-E zu entnehmenden Planungen, entsprechende Standardisierung im Verordnungswege auch für die Bauleitplanung und die Raumordnung zu schaffen. Das Fehlen praxistauglicher Handreichungen für die behördliche Praxis neben den personellen und technischen Defiziten auf der Behördenseite ein wesentlicher Grund für die lange Verfahrensdauer und bestehende rechtliche Unsicherheiten. Die mit § 45b BNatSchG angestrebte Standardisierung wird deshalb von mir befürwortet.

Um den mit einer Standardisierung verbundenen Mehrwert in Bezug auf Rechtsklarheit, einen vereinfachten Gesetzesvollzug und die Rechtssicherheit nicht wieder zu verspielen, sollte der Gesetzentwurf aber Zweifel an seiner Vereinbarkeit mit Unionsrecht und Verfassungsrecht unbedingt vermeiden, wofür eine Anpassung einiger Bestimmungen aus meiner Sicht dringend erforderlich ist. Im Einzelnen:

b) § 45b Abs. 1 BNatSchG-E

In der Gesetzesbegründung (S. 24) heißt es zu § 45b Abs. 1 BNatSchG-E:

„Zentraler Bezugspunkt der hier enthaltenen Regelungen ist dabei die in Abschnitt 1 der neuen Anlage 1 zum BNatSchG enthaltene Tabelle mit einer abschließenden Auflistung kollisionsgefährdeter und daher insoweit prüfungsrelevanter Brutvogelarten (Anlage 1 Abschnitt 1 Tabelle Spalte 1) sowie hierauf bezogener artspezifischer Prüfabstände (Anlage 1 Tabelle Spalten 2, 3 und 4).“

Der hier angesprochene Abschnitt 1 der Anlage 1 zum BNatSchG-E enthält eine Liste von 15 Brutvogelarten, die künftig ausschließlich einer artenschutzrechtlichen Prüfung unterzogen werden sollen, für alle anderen Brutvogelarten soll hingegen eine Prüfung des Tötungsverbotes nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht mehr erforderlich sein. Dies stellt die Begründung auf S. 30 zweifelsfrei klar, wo ausgeführt wird, die Tabelle sei ein bundeseinheitlicher Rahmen, der der Vereinheitlichung der Prüfung des artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsrisikos dient und von dem die Länder nicht abweichen können.

Im Interesse einer Beschleunigung der Zulassung von WEA ist eine Beschränkung der artenschutzrechtlichen Prüfung des Tötungsverbotes auf kollisionsgefährdete Arten ohne weiteres sinnvoll und im Grundsatz unionsrechtlich zulässig, da das Unionsrecht eine Prüfung nur gebietet, wenn eine Tötung oder Verletzung von Arten droht. Lässt sich eine solche naturschutzfachlich ausschließen, bedarf es auch keiner Prüfung.

Allerdings übersieht der Entwurf, dass der EuGH zwischenzeitlich in mehreren Entscheidungen klargestellt hat, dass der Maßstab der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nur im Habitatschutzrecht, sondern auch im Artenschutzrecht Geltung beansprucht (vgl. EuGH, Urteil vom 11.06.2020, C-88/19, Celex-Nr. 62019CJ0088, Rn. 66 „Tapiola“; EuGH, Urteil vom 17. April 2018 – C-441/17 –, Rn. 222 ff. „Białowieża). Demnach bedarf es vollständiger präziser und endgültiger Feststellungen, die jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen auf geschützte Arten ausräumen. Dies erfordert es, dass zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt die Auswahl der Arten, die als kollisionsgefährdet angesehen werden, ebenso den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen muss, wie die in Anlage 1 festgelegten Bereiche (Nahbereich, Prüfbereich, erweiterter Prüfbereich). Das Naturschutzrecht ist damit ebenso wie die Natur selbst nicht statisch, sondern dynamisch angelegt und verpflichtet zur ständigen Beobachtung und Anpassung der Erkenntnislage an den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt. Die bisher in § 45b Abs. 2 bis 5 BNatSchG angelegte strikte Bindung der Behörden an die Prüfung der in Anlage 1 Abschnitt 1 aufgelisteten Brutvogelarten ist mit der unionsrechtlichen Bindung an die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht in Einklang zu bringen. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Auswahl der Arten ebenso wie die Festlegungen zum Nahbereich und zum erweiterten Prüfbereich von verschiedenen wissenschaftlichen Standards, die in der Praxis bisher zur Anwendung kamen und Billigung in der Rechtsprechung als sog. „Fachkonventionen“ gefunden haben (wie z.B. das Helgoländer Papier der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten 2015), zum Nachteil der Arten abweicht. So sind bspw. für Schreiadler und Weihen deutlich kleinere Prüfradien vorgesehen. Zudem fehlen in der Auswahl in Anlage 1 Abschnitt 1 nach den Erkenntnissen der Ornithologie stark kollisionsgefährdete Arten wie Mäusebussard, Feld- und Heidelerche, Kiebitz, Uferschnepfe und Bekassine.

Da sich aus der Gesetzesbegründung ein striktes Prüfverbot für weitere Brutvogelarten ergibt, begegnet die Regelung erheblichen unionsrechtlichen Bedenken, weil entgegen der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse ersichtlich nicht alle kollisionsgefährdeten Arten erfasst werden.

Dabei muss auch bedacht werden, dass der EuGH erst kürzlich einer Befreiung von der artenschutzrechtlichen Prüfpflicht auch für häufige und ungefährdete Vogelarten eine Absage erteilt und eine entsprechende schwedische Regelung für unvereinbar mit dem Unionsecht angesehen hat (vgl. EuGH, Urt. v. 4.3.2021 – C-473/19 u. C-474/19; Rn. 31 ff.)). Es ist deshalb absehbar, dass eine abschließende Prüfliste, die fachlich unbestritten kollisionsgefährdete Arten aus einer Prüfung des Tötungsverbotes ausschließt, vor dem EuGH wenig Gnade finden wird.

Die unionsrechtlichen Bedenken können ausgeräumt werden, indem lediglich für die in Anlage 1 Abschnitt 1 eine nicht widerlegbare Vermutung der Kollisionsgefährdung begründet wird und im Übrigen den Behörden gestattet wird, weitere Arten zu prüfen, die nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Entscheidungszeitpunkt als kollisionsgefährdet angesehen werden.

Zugleich wird empfohlen, die konkreten Abstände artbezogen unter Berücksichtigung des ornithologischen Kenntnisstandes kritisch zu überprüfen.

Unklar, weil in der Formulierung des Gesetzes selbst ohne Anknüpfungspunkt, ist folgende Aussage in der Gesetzesbegründung zu § 45b Abs. 1 BNatSchG-E:

„Die Prüfung von Verstößen gegen die Verbote des § 44 Absatz 1 Nummer 2 und 3 bleibt unberührt. Außerhalb der Nahbereiche kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass der Betrieb von WEA nicht zu einer erheblichen Störung der in der Anlage aufgeführten 15 Arten führt, die den Erhaltungszustand der lokalen Population der Art verschlechtert.“

Rechtlich ist dem Ansinnen, in der Gesetzesbegründung Aussagen mit Regelungscharakter für die Prüfung von Verstößen, die im Gesetz selbst nicht geregelt werden sollen, „unterzumogeln“ zu widersprechen. Fachlich ist die Aussage bereits deshalb bedenklich, weil nicht einsichtig ist, wieso „außerhalb der Nahbereiche“ und damit auch im zentralen Prüfbereich Störungen von Individuen im Regelfall nicht populationsrelevant sein sollen. Dies wird auch nicht näher fachlich unterlegt und widerspricht der anderslautenden Vermutungsregel für Tötungen in Abs. 3.

c) § 45b Abs. 2 BNatSchG-E

Die Regelung ist sinnvoll und bedenkenfrei, allerdings sollte in der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass es sich um eine unwiderlegliche Vermutung für das Erfüllen des Verbotstatbestandes nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG handelt und das Vorhaben nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine artenschutzrechtliche Ausnahme zugelassen werden kann.

Auf die Notwendigkeit der artbezogenen Überprüfung des konkret gewählten Abstands zum Brutplatz wurde bereits unter a) hingewiesen.

d) § 45b Abs. 3 BNatSchG-E

Die Bestimmung ist sprachlich insoweit misslungen, als nach dem Wortlaut im zentralen Prüfbereich „in der Regel Anhaltspunkte dafür“ bestehen sollen, dass das Tötungs- und Verletzungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare signifikant erhöht ist. Auch um die gewählte Systematik beizubehalten, sollte hier formuliert werden:

„so wird in der Regel vermutet, dass das Tötungs- und Verlet-zungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare signifikant erhöht ist“.

Auf die Notwendigkeit der artbezogenen Überprüfung des konkret gewählten Abstands zum Brutplatz wurde bereits unter a) hingewiesen.

Die Regelung ist auch insoweit missverständlich, als unklar bleibt, wer den in Nr. 1 vorgesehenen Gegenbeweis erbringen muss. Die Formulierung „einer auf Verlangen des Trägers des Vorhabens durchgeführten Raumnutzungsanalyse“ legt nahe, dass jedenfalls die RNA von der Behörde durchzuführen ist. Der Gesetzesbegründung (S. 24) kann nur entnommen werden, dass eine RNA von der Behörde nicht eingefordert werden kann, aber auch sie verhält sich nicht dazu, wer in der Pflicht ist, wenn der Vorhabenträger eine RNA einfordert. Ob eine aufwändige RNA überhaupt ein sinnvolles Mittel ist, wird bezweifelt, da sie als Momentaufnahme für die Beurteilung der dauerhaften Probleme ungeeignet ist.

Die Regelung in Nr. 2 normiert die Möglichkeit, die Vermutung der signifikanten Risikoerhöhung durch fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen zu widerlegen. Dazu legt Halbsatz 2 fest:

„(…); werden entweder Antikollisionssysteme genutzt, Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Ereignissen angeordnet, attraktive Ausweich-Nahrungshabitate angelegt oder phänologie-bedingte Abschaltungen angeordnet, so ist für die betreffende Art in der Regel davon auszugehen, dass die Risikoerhöhung hinreichend gemindert wird.“

Hier wird eine Regelvermutung der hinreichenden Minderung der Risikoerhöhung bei Anwendung der in Anlage 1 Abschnitt 2 aufgezählten Maßnahmen begründet, die aber offenbar widerlegbar sein soll, was nicht vollständig mit Abs. 6 harmoniert, der wiederum die Maßnahmen in Anlage 1 Abschnitt 2 ausdrücklich als fachlich geeignet festschreiben will.

Es wird unter Verweis auf die obigen Ausführungen zum Maßstab der besten verfügbaren Erkenntnisse empfohlen, aus Gründen der Rechtssicherheit der Behörde die Möglichkeit zu erhalten, einen artbezogenen Nachweis der Wirksamkeit der im Einzelfall angewandten Maßnahmen zu fordern und damit keine pauschale Eignung der in Anlage 1 Abschnitt 2 vorgesehenen Maßnahmen für alle Arten zu unterstellen.

e) § 45b Abs. 4 BNatSchG-E

Gegen die Regelung des erweiterten Prüfbereichs bestehen aus meiner Sicht keine Bedenken.

Auf die Notwendigkeit der artbezogenen Überprüfung des konkret gewählten Abstands zum Brutplatz wurde bereits unter a) hingewiesen.

f) § 45b Abs. 5 BNatSchG-E

Abs. 5 legt fest, dass das Tötungs- und Verletzungsrisiko der den Brutplatz nutzenden Exemplare bei einem Abstand vom Brutplatz jenseits der äußeren Linie des erweiterten Prüfbereichs nicht signifikant erhöht ist und Schutzmaßnahmen insoweit nicht erforderlich sind.

Auch hier wird empfohlen, eine Einzelfallbetrachtung zu ermöglichen, wenn die Erkenntnisse der Ornithologie oder spezifische örtliche Verhältnisse Anhaltspunkte dafür geben, dass im Einzelfall doch eine Risikoerhöhung zu besorgen ist. Durch die Beschränkung auf den Einzelfall läge die Rechtfertigungslast bei der Behörde.

Auf die Notwendigkeit der artbezogenen Überprüfung des konkret gewählten Abstands zum Brutplatz wurde bereits unter a) hingewiesen.

g) § 45b Abs. 6 BNatSchG-E

Die Vorschrift legt bindend fest, dass insbesondere die in Anlage 1 Abschnitt 2 genannten Schutzmaßnahmen fachlich anerkannte Schutzmaßnahmen für die in Anlage 1 Abschnitt 1 genannten Brutvogelarten sind (Satz 1) und begründet damit eine gesetzgeberische Anerkennung der Wirksamkeit der genannten Maßnahmen. Hier wird mit Blick auf den gebotenen Maßstab der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse dringend empfohlen (EuGH, Urteil vom 11.06.2020, C-88/19, Celex-Nr. 62019CJ0088, Rn. 66 „Tapiola“; EuGH, Urteil vom 17. April 2018 – C-441/17 –, Rn. 222 ff. „Białowieża), die in Anlage 1 Abschnitt 2 aufgelisteten Maßnahmen zu überprüfen, da insbesondere die Schaffung „attraktiver Nahrungshabitate“ hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht hinreichend belegt ist und auch Antikollisionssysteme (Probleme der Verfügbarkeit am Markt beiseite gelassen) nicht für alle Arten wirksam sind. Nach dem Wortlaut schließt Satz 1 die Anordnung anderer Maßnahmen nicht aus.

Die Sätze 2 ff. treffen Regelungen zur Verhältnismäßigkeit von Abschaltregelungen für WEA als Schutzmaßnahme und legen Schwellen an Ertragseinbußen fest, ab denen Abschaltungen als unverhältnismäßig gelten. Bei Unverhältnismäßigkeit kann der Vorhabenträger nach Satz 5 gleichwohl deren Anordnung verlangen. In der Gesetzesbegründung (S. 25) heißt es dazu, der Vorhabenträger könne die Anordnung von solchen Schutzmaßnahmen verlangen, wenn er trotz der grundsätzlich zunächst unterstellten Unwirtschaftlichkeit ein Interesse an der Realisierung des Vorhabens habe und hierfür keine artenschutzrechtliche Ausnahmeerteilung beantragen wolle bzw. eine solche nicht in Betracht komme. Wenn er die Anordnung der Schutzmaßnahmen verlange und durch diese die Risikoerhöhung hinreichend gemindert werde, könne dann das Vorhaben insoweit auch ohne Ausnahmeerteilung genehmigt werden. Gegen Satz 4 bestehen keine Bedenken.

In Bezug auf Satz 2 bis 4 wurde aber übersehen, dass die behördlicherseits für die Anordnung von Schutzmaßnahmen notwendige Abwägungsentscheidungen in eine Schieflage gebracht wird, wenn ausschließlich wirtschaftliche Erwägungen in die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einfließen. Wie sich dem Leitfaden der EU-Kommission zum Artenschutz (vgl. siehe EU-KOM, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie, 12.10.2021, S. 74) entnehmen lässt, darf sich die Verhältnismäßigkeit bereits deshalb nicht allein an wirtschaftlichen Erwägungen orientieren, weil für die Frage der Zumutbarkeit das Gewicht der artenschutzrechtlichen Betroffenheiten mit berücksichtigt werden muss. Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen dem Schutz einer ungefährdeten Vogelart oder einer vom Aussterben bedrohten Art dienen sollen. Auch wird der Gesetzentwurf unnötig mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet. Um diese auszuräumen sollte die starre Festlegung der Unzumutbarkeit aufgegeben und eine behördliche Abwägung eröffnet werden, die Raum für die Einbeziehung für den Umfang der Betroffenheit und den Gefährdungsgrad der im Einzelfall in Rede stehenden Arten lässt.

Für Schwierigkeiten und Streit wird in der Praxis die schwer verständliche Berechnungsvorgabe für die Ermittlung der Ertragsminderung nach Anlage 2 sorgen. Diese Regelung läuft damit dem Wunsch nach Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren zuwider.

h) § 45b Abs. 7 BNatSchG-E

§ 45b Abs. 6 BNatSchG-E legt fest, dass Nisthilfen für kollisionsgefährdete Vogel- und Fledermausarten in einem Umkreis von 1500 Metern um errichtete Windenergieanlagen sowie innerhalb von Gebieten, die in einem Raumordnungsplan oder in einem Flächennutzungsplan für die Windenergienutzung ausgewiesen sind, nicht angebracht werden dürfen.

Ausweislich der Gesetzesbegründung (S. 25) soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Brut- und Nistplätze von kollisionsgefährdeten Vogel- und Fledermausarten in der Nähe von Windenergieanlagen regelmäßig artenschutzrechtliche Konflikte hervorrufen. Deshalb soll vorgesehen werden, dass Nisthilfen zu Gunsten nicht in einem Umkreis von 1500 m um Windenergieanlagen und innerhalb von Gebieten, die in einem Raumordnungsplan oder einem Flächennutzungsplan für die Windenergienutzung ausgewiesen sind, angebracht werden dürfen, um die Arten vor Kollisionen zu schützen.

Die Regelung ist aus meiner Sicht nicht zu Ende gedacht und wird in der Praxis für erhebliche Unsicherheiten sorgen. Denn hiermit können sowohl Vermeidungs- und CEF-Maßnahmen, die für andere Vorhaben festgelegt wurden, unzulässig werden, als auch Managementmaßnahmen in Natura-2000-Gebieten unterbunden werden.

i) § 45b Abs. 8 BNatSchG

Die Vorschrift regelt die Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 45 Abs. 7 BNatSchG näher, indem Regelungen zum öffentlichen Interesse, zur Alternativenprüfung und zum Erhaltungszustand der betroffenen Arten getroffen werden. Die Vorschrift gilt dabei – anders als die Abs. 2 bis 5 – für alle Arten und nicht nur für Brutvögel.

aa) Abs. 8 Nr. 1 (überragendes öffentliches Interesse)

Nach der Vorschrift gilt § 45 Absatz 7 im Hinblick auf den Betrieb von Windenergieanlagen mit der Maßgabe, dass der Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist die Vorschrift im Zusammenhang mit § 2 EEG in der neuen Fassung 2022 zu lesen, wonach die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und der öffentlichen Sicherheit liegen. § 45b Abs. 8 Nr. 1 BNatSchG-E soll klarstellen, dass der Betrieb der Anlagen gleichzeitig auch in einem übergeordneten öffentlichen Interesse liegt. Staatliche Behörden müssten dieses überragende öffentliche Interesse bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern berücksichtigen, so auch bei der Entscheidung darüber, ob vom Vorliegen eines Ausnahmegrundes gemäß § 45 Absatz 7 Satz 1 Nummer 5 auszugehen ist.

Unverständlich ist, wieso sich die Regelungen auf den Betrieb der Anlagen beschränken und die Errichtung selbst nicht erfasst ist. Die Behörde wird hierdurch bei der Verwirklichung von Verbotstatbeständen bei der Errichtung in eine doppelte Ausnahmeprüfung gezwungen, wobei die Prüfungen jeweils eigenständigen rechtlichen Maßstäben folgen. Dies dürfte nicht zur Vereinfachung beitragen.

Die Gesetzesbegründung stellt aus meiner Sicht hinreichend klar, dass mit dem Begriff „überragendes öffentliches Interesse“ zwar ein besonders hohes Gewicht zugunsten der Anlagen anzunehmen ist, gleichwohl der Behörde ein Abwägungsspielraum verbleibt. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass die Bestimmung im Regelfall dazu führen wird, dass sich das Interesse an der Zulassung des Vorhabens gegen entgegenstehende artenschutzrechtliche Belange durchsetzt. In der Gesetzesbegründung sollte klargestellt werden, dass auch ein überragendes öffentliches Interesse im Einzelfall durch besonders gewichtige artenschutzrechtliche Belange überwunden werden kann und bei der Beurteilung auch der konkrete Nutzen der in Rede stehenden Anlage einzubeziehen ist.

bb) Abs. 8 Nr. 2 (Standortalternativen bei planerischer Standortausweisung)

Die Vorschrift legt fest, dass bei einem Gebiet, das für die Windenergie in einem Raumordnungsplan oder unter Berücksichtigung artenschutzrechtlicher Belange in einem Flächennutzungsplan ausgewiesen ist, Standortalternativen außerhalb dieses Gebietes in der Regel nicht im Sinne des § 45 Absatz 7 Satz 2 zumutbar sind, bis gemäß § 5 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes festgestellt wurde, dass das jeweilige Land den Flächenbeitragswert nach Anlage 1 Spalte 1 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes oder der jeweilige regionale oder kommunale Planungsträger ein daraus abgeleitetes Teilflächenziel erreicht hat.

Die Regelung ist mit Blick auf die Bestimmungen des Wind-an-Land-Gesetz und der neuen Bestimmung des § 249 BauGB konsequent, da sie den Planungsvorrang und die Verpflichtung zur Positivplanung betont. Den hiermit eingeleiteten Paradigmenwechsel halte ich für sinnvoll.

cc) Abs. 8 Nr. 3 (Standortalternativen bei fehlender planerischer Standortausweisung)

Die Bestimmung legt fest, dass bei fehlender planerischer Standortweisung im Sinne des Abs. 8 Nr. 2 Standortalternativen außerhalb eines Radius von 20 Kilometern nicht mehr nach § 45 Abs. 7 Satz 2 zumutbar sind. Eine Ausnahme soll gelten, wenn der vorgesehene Standort in einem sensiblen Gebiet liegt. Sodann heißt es im 2. Halbsatz:

„(…); sensible Gebiete sind bedeutsame Dichtezentren, Schwerpunktvorkommen und sonstige regional bedeutsame Gebiete und Ansammlungen sowie regional bedeutsame Brutvorkommen kollisionsgefährdeter oder störungsempfindlicher Arten und Natura 2000-Gebiete mit kollisionsgefährdeten oder störungsempfindlichen Vogel- oder Fledermausarten“

Die Regelung durchbricht die Systematik, wonach der planerischen Standortausweisung der Vorrang zukommen soll und führt zugleich neue unbestimmte Rechtsbegriffe (Dichtezentrum, Schwerpunktvorkommen, Ansammlungen, etc.) ein, die an keiner Stelle näher erläutert werden. Da in den Fällen der Nr. 3 artenschutzrechtliche Belange und Alternativen gerade nicht auf einer vorgelagerten Ebene geprüft wurden, erscheint die Begrenzung des räumlichen Umgriffs der Alternativenprüfung bedenklich. Bedenken ergeben sich vor allem deshalb, weil der EuGH bereits geklärt hat, dass bei der Genehmigung von Ausnahmen die nationalen Behörden unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie der Umstände des konkreten Falls zu prüfen haben, ob es keine anderweitigen zufriedenstellenden Lösungen gibt, um das verfolgte Ziel unter Beachtung der in der FFH-Richtlinie niedergelegten Verbote zu erreichen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 10.10.2019 – C-674/17, Rn. 51 „Tapiola“, so ebenfalls EU-KOM, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie, 12.10.2021, S. 21). Eine pauschale Begrenzung des Umgriffs der Alternativenprüfung dürfte den besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen und der Einzelfallbezogenheit nicht genügen und ist darüber hinaus nicht dazu fähig, anhand objektiv überprüfbarer Umstände des Einzelfalls eine anderweitig zufriedenstellende Lösung auszuschließen. Dies gilt jedenfalls für die Fälle, in denen eine umfassende, die Vorgaben des Artenschutzes berücksichtigende Alternativenprüfung nicht bereits auf vorgelagerter Ebene stattgefunden hat, wie es bei den Fällen des Abs. 8 Nr. 3 anzunehmen ist.

dd) Abs. 8 Nr. 4 (Erhaltungszustand)

Hier wird festgelegt, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 2 hinsichtlich des Erhaltungszustands vorliegen, wenn sich der Zustand der durch das Vorhaben jeweils betroffenen lokalen Population unter Berücksichtigung von Maßnahmen zu dessen Sicherung nicht verschlechtert. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass in Praxis häufig Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Erhaltungszustands ergeben, weil der Bezugsraum der Prüfung unklar ist. Nunmehr wird klargestellt, dass auf die lokale Population abzustellen ist.

Dies erscheint vom Grundansatz her sinnvoll, allerdings sollte in der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass die Anwendung der Bestimmung tatsächliche Erkenntnisse über Größe und Erhaltungszustand der lokalen Population voraussetzt, weil anderenfalls letztlich Beurteilungen auf nicht hinreichend fachlicher Grundlage getroffen werden (EuGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – C-674/17 –, Rn. 61, juris). In der Praxis ist das Fehlen von Informationen und die mangelnde Erhebung von Daten über die lokale Population ein häufig anzutreffender Mangel.

ee) Abs. 8 Nr. 5 (Erhaltungszustand)

Zudem soll gelten, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 2 hinsichtlich des Erhaltungszustands auch dann vorliegen, wenn auf Grundlage einer Beobachtung im Sinne des § 6 Abs. 2 zu erwarten ist, dass sich der Zustand der Populationen der betreffenden Art in dem betroffenen Land oder auf Bundesebene unter Berücksichtigung von Maßnahmen zu dessen Sicherung nicht verschlechtert. Ausweislich der Begründung (S. 26) können Maßnahmen zur Sicherung des Erhaltungszustands durch den Vorhabenträger selbst oder im Rahmen eines Artenhilfsprogramms durchgeführt werden.

Die Regelung begegnet deshalb Bedenken, weil ausschließlich auf das Verschlechterungsverbot abgestellt wird, aber in der europäischen Rechtsprechung geklärt ist, dass bei der Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen auch das Verbesserungsgebot in den Blick genommen werden muss und Ausnahmen deshalb nur erteilt werden dürfen, wenn bei einem schlechten Erhaltungszustand die Herstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindert wird (vgl. auch Art. 2 Abs. 2 FFH-RL, EuGH, Urteil vom 17. April 2018 – C-441/17 –, Rn. 106, 262 juris; EuGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – C-342/05 –, juris; EuGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – C-674/17 –, Rn. 55, juris).

ff) Abs. 8 Nr. 6 (Anspruch auf Ausnahme)

Nach § 45b Abs. 8 Nr. 6 BNatSchG-E ist eine Ausnahme dann zu erteilen, wenn die Ausnahmevoraussetzungen vorliegen.

Demnach soll der zuständigen Behörde kein Versagungsermessen zukommen und ein Anspruch der Antragsteller auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung bestehen.

Es wird empfohlen, die Regelung zu streichen, da sie in Kombination mit Nr. 1 letztlich dazu führt, dass eine Abwägungsentscheidung nicht mehr stattfindet. Der Ausschluss einer Abwägung begegnet unionsrechtlichen Bedenken, da Art. 16 Abs. 1 FFH-RL bereits vom Wortlaut her eine Abwägungsentscheidung fordert. Die Regelung ist aus hiesiger Sicht auch unnötig, weil über die Zuerkennung des „überragenden öffentlichen Interesses“ ohnehin allenfalls in Ausnahmefällen und damit letztlich bei Standorten, die unter artenschutzrechtlichen Aspekten unvertretbar sind, sich das Interesse an der Verwirklichung des Projektes nicht durchsetzen kann.

j) § 45b Abs. 9 BNatSchG-E

Mit der Vorschrift wird für den Fall der Erteilung einer Ausnahme die Anordnung von ertragsrelevanten Schutzmaßnahmen unter die Bedingung gestellt, dass die hiermit verbundenen Einbußen bei besonders ertragreichen Standorten höchsten 6 % und bei sonstigen Standorten höchstens 4 % betragen.

Hinsichtlich der Bedenken wegen der ausschließlichen Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange und zur Berechnung nach Anlage 2 wird auf die obigen Ausführungen zu § 45b Abs. 6 verwiesen.

Hier tritt hinzu, dass die Regelung in die Berechnung auch die für andere Arten getroffenen Maßnahmen einschließt und eine deutlich geringere Schwelle für die Unverhältnismäßigkeit bei Ausnahmeerteilung festgelegt wird als bei den Anstrengungen zur Vermeidung der signifikanten Risikoerhöhung in Abs. 6. Die Regelung in Abs. 9 ist insbesondere im Zusammenspiel mit Abs. 6 nur schwer nachvollziehbar und begegnet Bedenken. Insoweit schließe ich mich den ausführlichen Darlegungen des Kollegen Prof. Dr. Gellermann in der Stellungnahme vom 27.06.2022 (dort S. 9 ff.) und den dortigen Formulierungsvorschlägen an.

3. § 45d BNatSchG-E

Die Bestimmung regelt Artenhilfsprogramme und damit Maßnahmen, die langfristig die Qualität und die Vernetzung der Lebensräume der Arten sowie deren Erhaltungszustand verbessern sollen. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dies einem vorsorgenden Ansatz folgen und sowohl die weitreichenden Ausbauziele für erneuerbare Energien als auch das Bekenntnis der Bundesregierung zum Schutz und zur Verbesserung der Biodiversität flankieren. Die in der Begründung mit den Maßnahmen verbundenen Erwartungen der Wirkung der Artenhilfsprogramme (gestärkte Bestände sowie verbesserte und besser vernetzte Habitate, die gegenüber zu erwartenden Beeinträchtigungen weniger empfindlich sind; wesentlicher Beitrag zu den EU-Biodiversitätszielen 2030; Synergien zu den Maßnahmenprogrammen nach § 45h WHG).

Damit sich diese Erwartungen einstellen, ist dringend zu empfehlen, sowohl die Aufstellung der Artenhilfsprogramme in § 45d Abs. 1 BNatSchG als auch die Verwendung von Zahlungen für konkrete Maßnahmen in § 45d Abs. 2 Satz 6 BNatSchG und konkrete, verbindliche und sanktionsbewehrte Fristen zu binden. Denn der durch den Kollegen Prof. Gellermann treffend als „Ablasshandel“ bezeichnete Mechanismus wird nur dann funktionieren, wenn in geeigneter Weise sichergestellt wird, dass Maßnahmen zeitnah zum jeweiligen Eingriff umgesetzt werden. Deshalb sollten hier konkrete zeitliche Verpflichtungen ergänzt und im Übrigen die Umsetzung verpflichtend den Ländern übertragen werden. Dabei sollte überlegt werden, vergleichbar den Regelungen des Wind-an-Land-Gesetz Anreize und Sanktionen zu schaffen, um die tatsächliche Umsetzung von Maßnahmen attraktiv zu machen.

Leipzig, den 30. Juni 2022

gez. RAin Dr. iur. Franziska Heß
Fachanwältin für Verwaltungsrecht

[1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und Bundesamt für Naturschutz, Die Lage der Natur in Deutschland – Ergebnisse von EU-Vogelschutz- und FFH-Bericht, S. 5.

[2] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und Bundesamt für Naturschutz, Die Lage der Natur in Deutschland – Ergebnisse von EU-Vogelschutz- und FFH-Bericht, S. 8.

[3] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und Bundesamt für Naturschutz, Die Lage der Natur in Deutschland – Ergebnisse von EU-Vogelschutz- und FFH-Bericht, S. 9.