Die Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament hat die Kanzlei Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB mit der Begutachtung des geplanten Ausbaus der polnischen Grenzoder im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Vorhabens mit EU-Recht, beauftragt.

Die Begutachtung ergab, dass das Vorhaben den Bestimmungen der in der UVP-Richtlinie festgesetzten Anforderungen an Inhalt und Umfang der Umweltverträglichkeitsprüfung widerspricht und mit dem europäischen Habitat- und Artenschutzregime nicht vereinbar ist.

Im Rahmen der gutachterlichen Bewertung deckten die Rechtsanwält*innen zahlreiche Rechtsverstöße in der Verfahrensgestaltung der polnischen Behörden, sowie innerhalb der behördlichen Prüfung der umweltrechtlichen und naturschutzfachlichen Belange auf.

Hinsichtlich der betroffenen Umweltbelange zeigt das Gutachten auf, dass der Habitatschutz und die Anforderungen der FFH-Richtlinie (FFH-RL) nicht ausreichend untersucht und geprüft wurden. Speziell die Berücksichtigung der Schutzgebiete auf der deutschen Seite der Grenzoder entspricht nicht den Anforderungen des EuGH, wonach die Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie nicht lückenhaft sein darf und vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten muss, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen der in dem betreffenden Schutzgebiet geplanten Arbeiten auszuräumen (EuGH, Urteil vom 14. Januar 2016, Az. C-399/14, Rn. 50).

Ausgehend von einem unzureichenden behördlichen Prüfungsmaßstab und erheblicher Defizite bei der Zusammenstellung der entscheidungserheblichen Unterlagen, ist davon auszugehen, dass bei Durchführung des Projekts zahlreiche Verbotstatbestände nach Art. 12 FFH-RL verwirklicht werden.

Ausführlich beschäftigt sich das Gutachten schließlich mit der Vereinbarkeit des Vorhabens mit der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Dabei hat sich herausgestellt, dass der geplante Ausbau mit den Zielen der WRRL in Form des Verschlechterungsverbots und Verbesserungsgebots für die Oder-Wasserkörper und die Grundwasserkörper nicht vereinbar ist. Die behördliche Prüfung weist gravierende Mängel auf, insbesondere was die Berücksichtigung der maßgeblichen EuGH-Rechtsprechung anbelangt, anhand derer die Vereinbarkeit zu prüfen ist. Auch fehlt es an der Beachtung der deutschen Wasserkörper, die nicht Gegenstand der Umweltprüfung waren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Genehmigungsentscheidung völlig unklar und widersprüchlich ist. Einerseits wird eine Verschlechterung von Oder-Wasserkörpern vermeintlich ausgeschlossen, andererseits jedoch eine Verschlechterung eingeräumt und eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot für notwendig erachtet.

Besonders problematisch bewertet das Gutachten die von den Behörden durchgeführte Öffentlichkeitsbeteiligung. Rechtsanwalt Dr. Eric Weiser-Saulin führt hierzu aus:

„Die behördliche Verfahrensgestaltung missachtet die vom EuGH mehrfach festgestellten Anforderungen an eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL. Insbesondere lassen die erheblichen sprachlichen Defizite der ins Deutsche übersetzen Verfahrensunterlagen eine tatsächliche Beteiligung deutscher Behörden und der deutschen Öffentlichkeit nicht zu. Die Verantwortlichkeit hierfür trägt nach Artikel 2 Ziff. 6 des Übereinkommens von Espoo (ECE/MP.EIA/21/ Amend.1) die verfahrensführende Behörde. Damit ist eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung auf Grundlage einer nachvollziehbaren Übersetzung zwingende Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Verfahrensgestaltung.“

Im Genehmigungsverfahren hatte sich neben zahlreichen Umwelt- und Naturschutzvereinigungen auch der Deutsche Naturschutzring (DNR) mit Einwendungen gegen das Vorhaben geäußert. Ebenso hatte die Abteilung Umweltschutz des Ministeriums für ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg auf Mängel in den Unterlagen verwiesen. Auf diese zum Teil auch mit fachlichen Gutachten ausführlich untermauerten Einwände war die Genehmigungsbehörde jedoch nicht näher eingegangen und hatte diese mit pauschalen Begründungen zurückgewiesen oder inhaltlich unbeantwortet gelassen.

Im Ergebnis zeigt das Gutachten auf, dass sowohl das Verfahren als auch die inhaltliche Prüfung der geplanten Maßnahmen europäischem Umweltrecht widersprechen. Ausgehend von den aufgedeckten umweltrechtlichen Mängeln ist daher auch die Förderfähigkeit des Vorhabens mit EU-Geldern infrage gestellt. Dazu führt Justus Wulff (Master of Laws), von der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB aus:

„Eine EU-Förderung des Oderausbaus auf Grundlage dieser Genehmigungsentscheidung würde die Finanzierung von Verstößen gegen EU-Recht und die nachhaltige Vereitelung von EU-Umweltzielen an der Oder bedeuten. Angesichts der davon ausgehenden negativen Signalwirkung als auch unter rechtspolitischen Gesichtspunkten sollte eine Förderung seitens der EU-Kommission unbedingt vermieden und die Vereinbarkeit mit EU-Umweltrecht überprüft werden.“

Es bleibt nun abzuwarten, wie die EU-Kommission auf die Ergebnisse des Gutachtens reagieren wird und welche Konsequenzen hinsichtlich der Förderung der Maßnahme folgen.

Darüber hinaus bleibt abzuwarten, wie die Genehmigungsbehörde mit dieser rechtlichen Bewertung umgeht. Sie hat bislang noch nicht über den vom Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg am 13.08.2020 erhobenen Widerspruch entschieden. Das Ministerium hatte in seinem Widerspruchsschreiben ebenfalls auf erhebliche Rechtsverletzungen europäischen Umweltrechts verwiesen und im Herbst 2021 Klage gegen das Vorhaben eingereicht. 

Kontakt bei Rückfragen:

Dr. Eric Weiser-Saulin, Tel. 0931/460 46-0, weiser-saulin@baumann-rechtsanwaelte.de

Würzburg, den 03.03.2022

gez.: RA Dr. Eric Weiser-Saulin

Das von den Brandenburger Europaabgeordneten Ska Keller und Sergey Lagodinsky beauftragte Gutachten kann hier heruntergeladen werden: https://www.skakeller.de/fileadmin/user_upload/Gutachten-Oder_GrueneEFA-Baumann.pdf

Eine Zusammenfassung des Gutachtens kann hier heruntergeladen werden:
https://www.skakeller.de/fileadmin/user_upload/Kurzfassung-Gutachten-Oder_GrueneEFA-Baumann.pdf

Die Pressemitteilung der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament lesen Sie hier:

Gutachten: Oderausbau nicht mit EU-Recht vereinbar. Bündnisgrüne: Projekt gehört auf den Prüfstand – Ska Keller, MdEP

Streit um Oderausbau: Juristische Zweifel – verstößt Polen mit dem Ausbau der Oder gegen EU-Recht   1.März 2022 – Märkische Onlinezeitung

 Streit mit Brandenburger Politik: Polnische Seite beginnt mit Oder-Ausbau | rbb24   9.März 2022 – rbb24

Juristische Zweifel – verstößt Polen mit dem Ausbau der Oder gegen EU-Recht?    1. März 2022 –moz.de

Polnische Seite beginnt einseitig mit Oderausbau    9.März 2022 -rbb24.de

Streit um Oderausbau geht weiter: Polen beginnt Baumaßnahmen    9.März 2022 –sueddeutsche.de