Rechtsanwalt Wolfgang Baumann nimmt als geladener Sachverständiger Stellung

Die Bundesregierung beabsichtigt, den bislang stockenden Netzausbau mit einem weiteren Beschleunigungsgesetz voranzutreiben. In diesem Zusammenhang war Rechtsanwalt Wolfgang Baumann eingeladen, am 20.02.2019 im Ausschuss für Wirtschaft und Energie im Deutschen Bundestag als Sachverständiger zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 19/7375 vom 28.01.2019) Stellung zu nehmen. Sein Resümee der Gesetzesnovelle fällt ernüchternd aus:

„Die Beschleunigung von Infrastrukturprojekten geht, wie der vorliegende Gesetzesentwurf verdeutlicht, stets mit der Reduzierung von Rechtsschutz, der Reduzierung von Informationsbereitstellung gegenüber der Öffentlichkeit und einer Absenkung des Umweltschutzniveaus einher. Im Falle des Netzausbaus führt die Beschleunigung auch zugleich zu einer Stärkung der ohnehin mit erheblichen Rechten, Befugnissen und Freiheiten ausgestatteten Übertragungsnetzbetreiber zulasten der Bundesländer, Städte und Gemeinden, Naturschutzverbände, Grundstückseigentümer und der Allgemeinheit.“

Rechtsanwalt Baumann kritisierte dabei unter anderem die im Artikel 1 Nr. 18 des Gesetzesentwurf vorgesehene Einführung der Möglichkeit eines Vorzeitigen Baubeginns noch vor Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses (§ 44c (neu) EnWG). Der Gesetzeswortlaut verlangt als Voraussetzung keinen bestimmten Stand der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Es könnte daher bereits vor Abschluss eines Beteiligungsverfahrens und etwaigen Einwendungen von Naturschutzverbänden und Privatpersonen mit bestimmten Maßnahmen z.B. dem Roden eines Waldgebietes begonnen werden. Besonders bedenklich ist dabei die Möglichkeit (§ 44c Absatz 1 Satz 2 EnWGE), auch irreversible Maßnahmen durchzuführen. „Diese Beschleunigungsmaßnahmen sind“ so Baumann „ungeeignet und ineffizient; sie führten zu einer Erhöhung des Widerstandes bei Betroffenen und damit eher zur Verzögerung der Trassenprojekte“. Durch diese Regelung würde das Umweltschutzniveau bei der Errichtung von Höchstspannungsleitungen abgesenkt, die Beteiligungsrechte würden verkürzt.

Als europarechtswidrig bezeichnete Rechtsanwalt Baumann die Neuregelung des § 43f Abs. 2 EnWG , wonach eine Umweltverträglichkeitsprüfung in bestimmten Fällen, abweichend von den Vorgaben des UVPG, gänzlich entfallen können soll. Die Regelung sei in ihrer derzeitigen Ausgestaltung unionsrechtswidrig und mit der europäischen UVP-Richtlinie (RL 2011/92/EU) unvereinbar. Sie stehe zudem im Widerspruch zu den Vorgaben des UVPG, in welchem der Bundesgesetzgeber klar geregelt hat, in welchen Fällen er eine UVP-Vorprüfung für erforderlich halte. Sollte diese Regelung kommen, würde das neue Gesetz spätestens vom Europäischen Gerichtshof für unwirksam erklärt werden.

Neben Belangen des Umweltschutzes sieht Rechtsanwalt Baumann mit der Gesetzesnovelle eine erhebliche Verkürzung der Rechte der Bundesländer und der Kommunen einhergehen. Für die Bundesländer führt der weitreichende Verzicht auf die Bundesfachplanung (§ 5a (neu) NABEG) dazu, dass die Belange der Raumordnung, d.h. die landesplanerischen Kompetenzen, nicht mehr ausreichend beachtet und gewürdigt werden. Diese sollen zukünftig nur noch einfache Abwägungsmasse darstellen (§ 18 Abs. 4 Satz 1 (neu) NABEG), so dass die Neuregelungen in Konflikt mit der strikten Bindungswirkung der allgemeinen Regelung des § 4 Absatz 1 Satz 1 ROG steht und damit erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken wegen der im Grundgesetz verankerten Kompetenzregelungen besteht. Ein weiterer erheblicher Einschnitt für die Länder folgt aus der geplanten Änderung des § 7 Abs. 3 Satz 1 NABEG. Das bislang vom Gesetzgeber gesehene besondere Vorschlagsrecht der Länder soll zukünftig an die Voraussetzung gekoppelt werden, dass diese Alternative Trassenkorridorvorschläge nur dann einbringen dürfen, wenn sie sich „mit anderen betroffenen Ländern“ im Hinblick auf diese Vorschläge zuvor abgestimmt haben. Hierzu führt Rechtsanwalt Baumann aus:

Die Koppelung des Antragsrechts eines Landes mit den Vorschlagsrechten anderer Bundesländer führt zu einer prohibitiven Verfahrenskomplexität, die eine effiziente und effektive Wahrnehmung des Länderantragsrechts infrage stellt.

Betroffen sind jedoch nicht nur die Bundesländer, sondern auch die Kommunen. Durch die beabsichtigte Änderung in § 15 Abs. 1 NABEG können Flächen der Gemeinden in einem erheblichen Umfang (bis zu 1.000m Trassenkorridorbreite) der gemeindlichen Bauleitplanung über 10 Jahre lang entzogen werden. Dies kann im Einzelfall einen erheblichen Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleistete Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) darstellen. Vor diesem Hintergrund kann insbesondere die Regelung des § 15 Abs. 3 NABEG, wonach die Entscheidung nach § 12 NABEG „keine unmittelbare Außenwirkung“ haben soll, nicht länger Bestand haben.

Rechtsanwalt Baumann lehnte die vorliegende Gesetzesnovelle daher ab und sprach sich für ein Gesetzeswerk aus, welches sich wesentlich auf die Einbeziehung aller beteiligten Akteure und die Schaffung von Akzeptanz stützt, da nur durch Akzeptanz der Betroffenen eine tatsächliche Beschleunigung des Netzausbaus erfolgen könne.

 

Würzburg, den 22. Februar 2019

gez. RA W. Baumann/Fachanwalt f. Verwaltungsrecht