Das Bundesverwaltungsgericht hat am 06.03.2025 erstmals eine Entscheidung getroffen, die sich unmittelbar mit den Anforderungen an die Bewirtschaftungsplanung nach der Wasserrahmenrichtlinie (RL 2000/60/EG) beschäftigt (BVerwG – Urteil vom 06. März 2025 – 10 C 1.24).
Konkret klagte ein Umweltverband gegen ein defizitäres Maßnahmenprogramm (Flussgebietseinheit Ems), um die Ziele der WRRL („guter Zustand“) bezüglich der Nährstoffbelastung (Nitrat) zu erreichen. Der Verband hatte in erster Instanz Erfolg, das OVG Lüneburg verurteilte die Bundesländer Niedersachen und Nordrhein-Westfalen u.a. dazu, dass Maßnahmenprogramm so anzupassen, dass die Ziele hinsichtlich Nitrat (Einhaltung des Schwellenwerts) im Grundwasser schnellstmöglich zu erreichen sind. Die von den beiden Bundesländern beantragte Revision bot nunmehr dem 10. Senat des Bundesverwaltungsgericht erstmals die Möglichkeit, sich direkt mit den Anforderungen an die Bewirtschaftungsplanung zu beschäftigen.
Die WRRL sieht in Grundzügen vor, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, eine Verschlechterung eines Gewässers oder von Grundwasser zu vermeiden (Verschlechterungsverbot) und einen anhand von Kriterien festgelegten guten Zustand, vorbehaltlich von Fristverlängerungen, bis zum Jahr 2015 zu erreichen (Verbesserungsgebot). Dafür ist für jede Flussgebietseinheit ein Bewirtschaftungsplan als auch ein Maßnahmenprogramm aufzustellen und regelmäßig zu aktualisieren. Der Bewirtschaftungsplan stellt dabei den gegenwärtigen Zustand der Gewässer fest und trifft Aussagen zur Zielerreichung. Darüber hinaus ist im Bewirtschaftungsplan die Zulässigkeit von Fristverlängerungen zu prüfen und ggf. zu erteilen. Das Maßnahmenprogramm legt hingegen die nötigen (Verbesserungs-)Maßnahmen grundlegender und ergänzender Art fest, um den übergreifend verfolgten guten Zustand zu erreichen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat nunmehr die erstinstanzliche Entscheidung (OVG Lüneburg, Urteil vom 21. November 2023 –7 KS 8/21) zu großen Teilen bestätigt. Demnach wurde die Revision zurückgewiesen, soweit sie das Verschlechterungsverbot und das Trendumkehrgebot, wonach alle menschlich verursachten Trends ansteigender Schadstoffkonzentrationen umzukehren sind, betrafen. Die Bewirtschaftungsplanung hat damit – ebenso wie auch jedes konkrete Vorhaben – den Umweltzielen zu entsprechen. Es darf durch die Bewirtschaftungsplanung (etwa auch durch ein Unterlassen) zu keinen Verstößen gegen das Verschlechterungsverbot oder Trendumkehrgebot kommen. Dies erfordert von den für die Bewirtschaftungsplanung zuständigen Behörden eine konkrete Prognose für alle Wasserkörper. Das BVerwG hat im vorliegenden Fall das Fehlen einer solchen Prognose festgestellt, womit es den Verstoß gegen Verschlechterungsverbot und Trendumkehrgebot begründete. Insbesondere fehlte es an einer Prognose für die repräsentativen Messstellen der Grundwasserkörper. Das Bundesverwaltungsgericht stellt hier klar, dass die Anforderungen, die der EuGH betreffend das Verschlechterungsverbot im Rahmen von konkreten Zulassungsentscheidungen (Vorhaben) aufgestellt bzw. ausgelegt hat (hier sog. Ummeln-Entscheidung, EuGH, 28.05.2020 – C-535/18), auch für die Bewirtschaftungsplanung gelten. Mit anderen Worten hat eine für die Bewirtschaftungsplanung zuständige Behörde ebenso wie eine Behörde für ein konkretes Vorhaben die Frage prognostisch zu beantworten, ob es an einer für den Wasserkörper repräsentativen Messstelle zu einer Konzentrationserhöhung (chemischer Zustand) oder nachteiligen Veränderung einer Qualitätskomponente kommt (mengenmäßiger Zustand). Für die wasserwirtschaftliche Praxis dürfte das für die Behörden einen enormen Mehraufwand bedeuten, denn hierbei ist zu bedenken, dass es i.d.R. weder die „Eine“ sondern mehrere repräsentative Messstellen in einem Wasserkörper gibt und zugleich eine große Menge an Wasserkörpern zu bewerten ist. So werden bspw. im deutschen Anteil der Flussgebietseinheit Elbe alleine 232 Grundwasserkörper und 3092 Oberflächenwasserkörper genannt, die es zu bewerten gilt.
Zum Verbesserungsgebot hingegen hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren abgetrennt und hat dem EuGH eine konkrete Frage bezüglich der Wirksamkeit von Fristverlängerungen und deren Begründung vorgelegt. Die Vorlagefrage lautet:
„Ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, zuletzt geändert durch Art. 1 der Richtlinie 2014/101/EU der Kommission und des Rates vom 30. Oktober 2014 (ABl. Nr. L 311 S. 32), so auszulegen, dass eine im Maßnahmenprogramm ausgesprochene Fristverlängerung zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele unwirksam ist, wenn die Angaben im Bewirtschaftungsplan den Anforderungen an die Darlegung und Erläuterung gemäß Art. 4 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2000/60/EG oder den Anforderungen an die in Art. 4 Abs. 4 Buchstabe d der Richtlinie 2000/60/EG genannte Zusammenfassung derjenigen Maßnahmen nach Artikel 11, die als erforderlich angesehen werden, um die Wasserkörper bis zum Ablauf der verlängerten Frist schrittweise in den geforderten Zustand zu überführen, die Gründe für jede signifikante Verzögerung bei der Umsetzung dieser Maßnahmen und den voraussichtlichen Zeitplan für die Durchführung dieser Maßnahmen nicht genügen?“
Hintergrund der Frage ist, dass eine Fristverlängerung der Zielerreichung (eigentlich 2015) nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist und eine Darlegung und Erläuterung der Verlängerungsgründe „im Einzelnen“, also für jeden einzelnen Wasserkörper speziell, erfordern. Sind bezüglich der Voraussetzungen oder der Begründung Defizite festzustellen, stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge eines solchen Defizits, die das Bundesverwaltungsgericht dem EuGH nunmehr vorgelegt hat. Denn ohne eine wirksame Verlängerung der Frist zur Zielerreichung lebt die ursprüngliche Frist der WRRL wieder auf (2015) und würde ein Verstoß gegen das Verbesserungsgebot begründen.
Unabhängig von der Beantwortung der Vorlagefragen durch den EuGH ist bezüglich des Verbesserungsgebotes aus der mündlichen Verhandlung deutlich geworden, dass auch dieses Gebot aus der WRRL eine Prognose in der Bewirtschaftungsplanung erfordert. Konkret muss beantwortet werden, ob ein Wasserkörper die Ziele (fristgerecht) erreichen wird. Daneben braucht es ausgehend davon in der Bewirtschaftungsplanung eine Maßnahmenplanung im Maßnahmenprogramm, die auch tatsächlich dazu fähig ist, die Ziele zu erreichen.
Das BVerwG hat mit der Zurückweisung der Revision und der Vorlage an den EuGH die Belange der WRRL gestärkt, die formalen und materiellen Anforderungen an die Bewirtschaftungsplanung zudem erhöht. Wenngleich die Signalwirkung dieser Entscheidung angesichts des Ziels der WRRL, vorbehaltlich rechtmäßiger Fristverlängerungen bis 2015 und spätestens bis 2027 einen guten Zustand zu erreichen, wohl deutlich verspätet erfolgt, ist die Entscheidung für die noch anhängigen gerichtlichen Überprüfungen von Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen sowie die zukünftige Bewirtschaftungsplan von erheblicher Bedeutung.
Zum Zeitpunkt des Fachbeitrags lag die Urteilsbegründung noch nicht vor.
Leipzig, den 15.05.2025
gez. Justus Wulff