Als wesentlicher Teil des European Green Deals wurde die Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (EU) 2024/1991 (W-VO) am 29. Juli 2024 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und ist am 18. August 2024 in Kraft getreten. Zentrale Zielbestimmung der W-VO ist die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme, um deren Biodiversität und Resilienz zu stärken (Art. 1 Abs. 1 lit. a W-VO). Die Maßnahmen sollen zugleich zur Erreichung der übergeordneten Ziele der EU in Bezug auf den Klimaschutz und die Klimaanpassung beitragen, Ernährungssicherheit fördern und internationale Verpflichtungen erfüllen (Art. 1 Abs. 1 lit. b bis lit. d W-VO). Art. 1 Abs. 2 W-VO formuliert zudem ein übergeordnetes unionsweites Ziel: Bis 2030 sollen mindestens 20 % der Land- und Meeresflächen der EU wiederhergestellt sein, bis 2050 sämtliche wiederherstellungsbedürftige Ökosysteme.
Die Wiederherstellungsverordnung enthält verschiedene Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten, u.a. die Wiederherstellung von Land-, Küsten, Süßwasser und Meeresökosystemen (Art. 4 und 5 W-VO), die Wiederherstellung der natürlichen Vernetzung von Flüssen und der natürlichen Funktionen damit verbundener Auen (Art. 9), die Wiederherstellung von Bestäuberpopulationen (Art. 10 W-VO), sowie die Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme und Waldökosysteme (Art. 11 und 12 W-VO). Die Mitgliedstaaten müssen gemäß Art. 14 Abs. 1 W-VO zur Erfüllung dieser Wiederherstellungsziele nationale Wiederherstellungspläne erstellen, in denen Zwischenziele, Maßnahmen, Monitoring und Evaluationsmethoden dargelegt sind. Der erste Entwurf dieser Pläne ist bis zum 1. September 2026 vorzulegen.
I. Hintergrund
Die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme ist kein völlig neues Ziel innerhalb des europäischen oder deutschen Naturschutzrechts. Bereits die Flora-Fauna-Habitat Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) sieht in Art. 2 Abs. 2 die Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der natürlichen Lebensräume und Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet vor. Auf nationaler Ebene wurde die Zielsetzung der Wiederherstellung mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) im Jahr 2002 in § 1 Abs. 1 aufgenommen.
Gleichwohl ist festzustellen, dass diese Zielbestimmungen bislang nicht ausreichend Wirkung entfalten konnten. Trotz jahrzehntelanger Umsetzung der FFH- und Vogelschutzrichtlinie befanden sich nach dem Bericht der EU-Kommission zum Zustand der Natur im Jahr 2020 nur 23 % der bewerteten Arten und 16 % der Lebensräume in einem günstigen Erhaltungszustand. 81 % der geschützten Habitate, 39 % der geschützten Vögel und 63 % der anderen geschützten Arten waren in einem unzureichenden oder schlechten Zustand (Vgl. Bericht der EU-Kommission an das EU-Parlament, den Rat der EU und den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss „Der Zustand der Natur in der Europäischen Union“ vom 15.10. 2020).
Die W-VO reagiert auf diesen Befund mit einer rechtlichen Neuausrichtung: Während die bisherigen Regelwerke Wiederherstellungsziele formulierten, jedoch keine klaren Fristen oder flächenbezogenen Verpflichtungen enthielten, setzt die W-VO verbindliche quantitative Vorgaben mit konkreten Umsetzungsfristen. Die Mitgliedstaaten müssen für klar umrissene Ökosysteme und Lebensraumtypen Maßnahmen zur Wiederherstellung ergreifen und Fortschritte nachweisbar dokumentieren. Die Pflicht zur Erstellung nationaler Wiederherstellungspläne nach Art. 14 ff. W-VO stellt ein neues, zentrales Steuerungsinstrument dar.
Auch systematisch ergänzt die W-VO das bestehende Rechtsgefüge. Sie knüpft an die FFH- und Vogelschutzrichtlinie an, greift aber über deren Schutzgebietslogik hinaus, indem sie auch Flächen außerhalb von Natura-2000-Gebieten einbezieht und einen kohärenten unionsweiten Wiederherstellungsrahmen schafft.
II. Inhalt
Nachfolgend wird eine Auswahl der in Kapitel 2 der Verordnung (Art. 4 – 13 W-VO) aufgeführten konkreten Wiederherstellungspflichten kurz dargestellt:
1. Land-, Küsten-, Süßwasser- und Meeresökosysteme (Art. 4 und 5 W-VO)
Nach Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 W-VO sind die Mitgliedstaaten zur Festlegung von Wiederherstellungsmaßnahmen verpflichtet, um bestimmte Flächen in einen guten Zustand zu versetzen. Erfasst sind dabei jene Flächen, auf denen sich Lebensraumtypen (LRT) befinden, die in den Anhängen I und II der Verordnung aufgeführt sind und gegenwärtig keinen guten Zustand aufweisen. Die Anhänge enthalten dabei sowohl die LRT gemäß der FFH-Richtlinie als auch Habitate nach dem European Nature Information System (EUNIS). Die Wiederherstellungsverpflichtungen unterliegen einer zeitlichen Staffelung: Bis zum Jahr 2030 sind Maßnahmen auf mindestens 30 % der Gesamtfläche aller nicht in gutem Zustand befindlichen LRT umzusetzen (vgl. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. a W-VO). In den Jahren 2040 und 2050 steigen die Anforderungen – dann sind entsprechende Maßnahmen auf mindestens 60 % bzw. 90 % der jeweiligen Flächen jeder in Anhang I genannten LRT-Gruppe sowie jeder in Anhang II aufgeführten marinen LRT-Gruppe 1 bis 6, die sich nicht in gutem Zustand befinden, durchzuführen.
2. Sonderregelungen für erneuerbare Energien und Landesverteidigung (Art. 6 und 7 W-VO)
Die Verordnung räumt Projekten zur Erzeugung erneuerbarer Energien sowie militärischen Nutzungen besondere Ausnahmen ein. Nach Art. 6 Abs. 1 W-VO gelten Vorhaben im Bereich erneuerbarer Energien – einschließlich Netzanschluss, Speicher und Infrastruktur – außerhalb von Natura-2000-Gebieten grundsätzlich als „von überragendem öffentlichen Interesse“. Damit können sie von bestimmten Wiederherstellungspflichten ausgenommen werden. Auch die Pflicht zur Prüfung weniger schädlicher Alternativen (Art. 4 Abs. 14 und 15 sowie Art. 5. Abs. 11 und 12) entfällt, wenn eine Umweltprüfung erfolgt ist.
Art. 7 Art. 1 W-VO erlaubt es den Mitgliedstaaten zudem, Flächen für militärische Zwecke auszunehmen, sofern eine Wiederherstellung mit deren Nutzung unvereinbar ist.
3. Besondere Ökosysteme und Bestäuberpopulationen (Art. 8 bis 13 W-VO)
Die Artikel 8 bis 13 der W-VO enthalten spezifische Wiederherstellungsziele für bestimmte, besonders schutzbedürftige Ökosysteme:
- Städtische Ökosysteme (Art. 8 W-VO): Die Mitgliedstaaten müssen bis zum 31. Dezember 2030 sicherstellen, dass kein Nettoverlust an städtischen Grünflächen und Baumüberschirmung gegenüber dem Stand von 2024 eintritt. Dabei sind auch Begrünungsmaßnahmen (z. B. Dach- oder Fassadenbegrünung) als Kompensation möglich.
- Flusslandschaften und Auen (Art. 9 W-VO): Ziel ist die Wiederherstellung von mindestens 25.000 km frei fließender Flüsse in der Union bis 2030. Hierzu sind Verzeichnisse über künstliche Hindernisse (z. B. Wehre, Querbauwerke) zu erstellen, zu bewerten und – sofern entbehrlich – zu beseitigen. Dabei ist auch die sozioökonomische Bedeutung der Anlagen zu berücksichtigen.
- Bestäuberpopulationen (Art. 10 W-VO): Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Rückgang der Bestäuber – insbesondere von Wildbienen und Schmetterlingen – bis 2030 umzukehren. Darüber hinaus muss ab diesem Zeitpunkt ein nachweislich positiver Trend bei der Vielfalt und Häufigkeit der Bestäuberarten bestehen.
- Waldökosysteme (Art. 12 W-VO): Ziel ist die Verbesserung der biologischen Vielfalt in Wäldern, gemessen u. a. am „Index häufiger Waldvogelarten“ (Anhang VI). Die Verordnung schreibt keine konkreten Maßnahmen vor, fordert aber messbare Fortschritte auf Basis ökologischer Indikatoren.
- Baumpflanzungen (Art. 13 W-VO): Die Mitgliedstaaten sollen bei der Umsetzung der Wiederherstellungsmaßnahmen zu dem EU-weiten Ziel beitragen, bis 2030 mindestens drei Milliarden zusätzliche Bäume zu pflanzen. Eine rechtlich verbindliche Pflicht zur konkreten Anzahl besteht jedoch nicht.
4. Nationale Wiederherstellungspläne
Die nationalen Wiederherstellungspläne bilden das zentrale Instrument zur Umsetzung der W-VO. Nach Art. 14 bis 17 W-VO sind alle Mitgliedstaaten verpflichtet, einen solchen Plan zu erstellen, der sämtliche geplanten Wiederherstellungsmaßnahmen systematisch erfasst und deren Umsetzung verbindlich steuert. Der Entwurf ist der EU- Kommission bis spätestens 1. September 2026 vorzulegen. Innerhalb von sechs Monaten erfolgt eine Bewertung durch die EU-Kommission.
Gemäß Art. 15 W-VO müssen die Wiederherstellungspläne insbesondere:
- die konkreten Zielvorgaben und Zwischenfristen benennen,
- die Flächenkulisse der zu wiederherstellenden Gebiete quantifizieren (nach LRT, Region, Zustand),
- die geplanten oder bereits ergriffenen Maßnahmen auflisten,
- sämtliche in Anspruch genommenen Ausnahmeregelungen nachvollziehbar begründen,
- ein Monitoring- und Evaluationskonzept enthalten, das etwa darlegt, wie der Zustand der Flächen gemessen, wie Wirksamkeit geprüft und wie Maßnahmen ggf. angepasst werden.
Nach Art. 14 Abs. 2 W-VO ist das Verfahren zur Erstellung der Pläne offen, transparent und partizipativ zu gestalten. Die Öffentlichkeit, insbesondere lokale Akteure und Interessenvertreter, sind frühzeitig und wirksam zu beteiligen.
5. Überwachung und Durchsetzung
Die W-VO enthält ein mehrstufiges System zur Überwachung und Durchsetzung der Wiederherstellungsverpflichtungen:
Gemäß Art. 18 W-VO sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein dauerhaftes System zur Überwachung der Wiederherstellungsflächen einzurichten. Dabei sind sowohl quantitative als auch qualitative Parameter zu erheben, die u. a. den Zustand der Ökosysteme, die Entwicklung der biologischen Vielfalt sowie die Fortschritte bei der Zielerreichung nach Art. 4 bis 13 betreffen.
Ergänzend regelt Art. 19 W-VO die Berichtspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Kommission. Spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des jeweiligen nationalen Wiederherstellungsplans und danach alle sechs Jahre müssen umfassende Fortschrittsberichte vorgelegt werden.
III. Bewertung und Ausblick
In der Fachliteratur wird die Wiederherstellungsverordnung (W-VO) als bedeutender Fortschritt hin zu einem verbindlichen, flächenbezogenen Naturschutzrecht gewertet (s. dazu Bodenbender, NuR 2024, 526ff.; Fellenberg, NVwZ 2025, 124ff.; Hendrischke ZuR 2025, 150ff.; Schieferdecker NVwZ 2024, 1865ff.). Hervorgehoben wird die Abkehr vom bislang sektoralen Schutzansatz hin zu einem umfassenden, ökosystembasierten Regulierungsrahmen, der auch jenseits von Natura-2000-Gebieten greift.
Der Erlass der W-VO ist zweifellos zu begrüßen, da somit das bisherige Umsetzungsdefizit im Naturschutzrecht erkannt und adressiert wird. Gleichwohl bleibt die Hoffnung auf eine tatsächliche Trendwende angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung der FFH-Richtlinie, der Vogelschutz-Richtlinie und der Wasserrahmen-Richtlinie verhalten. Die EU hat im naturschutzbezogenen Umweltrecht in der Vergangenheit wiederholt ambitionierte Ziele normiert, die jedoch nicht erreicht wurden, sondern deren Umsetzung im föderalen System ins Stocken geraten ist. In Deutschland wird der Zustand von 63 % der FFH-Arten und 69 % der FFH-Lebensraumtypen als „ungünstig-unzureichend“ oder „ungünstig-schlecht“ eingestuft (BfN 2020a) und nur 9 % der Oberflächengewässer sind in einem „sehr guten“ oder „guten“ ökologischen Zustand (BMUV und UBA 2022). Die zentrale Zielsetzung der FFH-Richtlinie – der Erhalt der biologischen Vielfalt – wurde damit in eklatanter Weise verfehlt, mit spürbaren negativen Folgen für die Allgemeinheit.
Es wird sich daher erst im Rahmen der nationalen Umsetzung zeigen, ob die W-VO ihr Potential entfalten kann. Die Fachliteratur betont in diesem Zusammenhang, dass den Mitgliedstaaten ein weiter Spielraum für die Konkretisierung und Umsetzung der Verordnung überlassen werde und insofern offen bleibe, ob damit eine tatsächliche Zustandsverbesserung erreicht werde (vgl. Fellenberg, NVwZ 2025, 124 (130)). Die W-VO müsse in erheblichem Umfang mit nationalem Recht untersetzt werden, sodass ihre Umsetzung eine Generationenaufgabe darstelle, die schon heute beginne (Schieferdecker, NVwZ 2024, 1865 (1874)).
Zudem sollte nicht darüber hinweg gesehen werden, dass die W-VO nicht alle Treiber des Biodiversitätsverlusts erfasst und das gesetzgeberische Tätigwerden deutlich darüber hinaus gehen muss, um den Verlust der Biodiversität zu stoppen und eine Wiederherstellung einzuleiten. Exemplarisch sei darauf hingewiesen, dass die W-VO keinerlei Aussagen zu Pestiziden und damit zu einem Hauptschädiger der Biodiversität trifft. Ebenso fehlt eine konkrete Vorgabe zum Flächenanteil von Schutzgebieten an der Landesfläche eines Mitgliedstaats. Die Kanzlei Baumann Rechtsanwälte PartGmbH hat daher für den BUND und einige Privatpersonen Verfassungsbeschwerde wegen des Fehlens eines gesetzlichen Gesamtkonzepts zum Schutz der Biodiversität erhoben. (Weitere Informationen dazu finden Sie in unserer Pressemitteilung vom 23.10.2024 „BUND erhebt weltweit erste Verfassungsklage auf bessere Naturschutz-Gesetzgebung„)
Darüber hinaus gewährt die Verordnung den Mitgliedstaaten erhebliche zeitliche Spielräume – in Teilen bis zum Jahr 2050. Angesichts der bereits heute überschrittenen planetaren Belastungsgrenzen erscheint ein derart langer Zeithorizont extrem kritisch. Auch die in der Verordnung enthaltenen Zielvorgaben sind durch zahlreiche Ausnahmen relativiert. So können gemäß Art. 4 Abs. 2 W-VO häufig vorkommende Lebensraumtypen von Wiederherstellungsmaßnahmen ausgenommen werden.
Als Fazit bleibt damit festzuhalten, dass die W-VO einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung darstellt und grundsätzlich das Potential besitzt, einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt und zur Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlagen – insbesondere natürlicher Lebensräume und Arten – zu leisten. Es bleibt zu appellieren, dass die für die Umsetzung zuständigen Behörden die bisherigen Defizite an der Umsetzung der FFH-RL, Vogelschutz-RL und Wasserrahmen-RL identifizieren und bei der Umsetzung der W-VO bewusst einen ambitionierten und rechtlich verbindlicheren Weg wählen. Dazu gehört auch die Anpassung von einschlägigen Fachgesetzen, wie bspw. BNatSchG, BWaldG etc., um mithilfe konkreterer Regelungen Umsetzungslücken vorzubeugen (vgl. dazu auch SRU, Renaturierung: Biodiversität stärken, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften, Stellungnahme August 2024).
Im Rahmen der Erstellung des nationalen Wiederherstellungsplans besteht für die Öffentlichkeit und damit insbesondere auch die Umweltverbände die Gelegenheit, sich an der Ausarbeitung des Plans zu beteiligen (vgl. Art. 14 Abs. 20 W-VO). Da die Mitgliedstaaten bereits bis zum 01. September 2026 einen Entwurf des nationalen Wiederherstellungsplans vorlegen müssen, darf mit Spannung auf den ersten Vorschlag gewartet werden.
Leipzig, den 30.04.2025
RAin Lisa Hörtzsch