Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie verstoßen hat, dass sie es allgemein und strukturell versäumt hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der durch das Natura‑2000-Netz geschützten Lebensraumtypen 6510 (Magere Flachland-Mähwiesen) und 6520 (Berg-Mähwiesen) in den dafür ausgewiesenen Gebieten (sog. FFH-Gebieten) zu treffen (Urteil vom 14.11.2024, C-47/23, die vollständige Entscheidung finden Sie hier).

Die Kommission hat die mit Spannung erwartete Entscheidung durch ein Vertragsverletzungsverfahren ins Rollen gebracht, nachdem sie aus Umweltverbandskreisen (insbesondere seitens des NABU e.V., der hierzu eine umfängliche Beschwerde eingereicht hatte) darauf aufmerksam gemacht worden war, dass sich die streng geschützten Mähwiesen in Deutschland hinsichtlich ihrer Flächengröße in vielen Gebieten verschlechtert haben und keine besonderen Maßnahmen ergriffen wurden, um dem entgegenzuwirken. Kurz gesagt waren die beiden Mähwiesen-Lebensraumtypen in vielen Gebieten nicht mehr oder nicht mehr in bisherigem Umfang feststellbar, waren also „verschwunden“.

Die Kommission hat deshalb Klage vor dem EuGH erhoben und dort konkret gerügt, dass nach ihrer Analyse der seitens der Bundesrepublik übermittelten Daten ein erheblicher Flächenverlust in 596 von 2.027 Gebieten, in denen der Lebensraumtyp 6510 vorkommt, und in 88 von 295 Gebieten, in denen der Lebensraumtyp 6520 vorkommt, festzustellen ist. Der Verlust belaufe sich in diesen Gebieten auf 49,52 % der Fläche des Lebensraumtyps 6510 und 51,07 % der Fläche des Lebensraumtyps 6520. Es handele sich deshalb um eine allgemeine und strukturelle Entwicklung (vgl. Rn. 98 der Entscheidung).

Zu ihrer Verteidigung hatte die Bundesrepublik lediglich „Kartierungsfehler“ bemüht, also behauptet, dass sie bei Meldung der Gebiete im Jahr 2006 quasi zu viel Fläche an geschützten Mähwiesen als tatsächlich vorhanden an die Kommission gemeldet hätte. Der EuGH weist das trocken mit dem Hinweis zurück, dass selbst nach der Korrektur dieser Fehler Flächenverluste in 81 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6510 und in 15 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6520 bestehen. Ansonsten konnte die Bundesrepublik der ausführlichen Analyse der Kommission nur wenig entgegensetzen, sodass der EuGH in Rn. 101 feststellt:

„Die Bundesrepublik Deutschland räumt ein, hinsichtlich bestimmter von der Kommission berücksichtigter Gebiete keine Rechtfertigung oder Erklärung für Flächenverluste in Höhe von ca. 11 000 ha des Lebensraumtyps 6510 und ca. 360 ha des Lebensraumtyps 6520 liefern zu können.“

Konsequenterweise bestätigt der EuGH sodann, dass seitens der Kommission signifikative Flächenverluste der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in einer erheblichen Anzahl von Gebieten in der Bundesrepublik Deutschland nachgewiesen wurden. Und er stellt ebenfalls fest, dass hinreichend nachgewiesen ist, dass diese Verschlechterung der Lebensraumtypen durch das Versäumnis verursacht wurde, geeignete Maßnahmen zu treffen (Rn. 105).

Dem Vorwurf, das Überwachungsregime für die europäisch geschützten FFH-Gebiete sei in Deutschland unzureichend, hatte die Bundesrepublik im Verfahren entgegengehalten, dass es allgemeine gesetzliche Überwachungsvorschriften gäbe und hatte auf einige gebietsspezifische Überwachungsmaßnahmen verwiesen. Dem EuGH genügte das ersichtlich nicht, denn er sah den Vorwurf, dass in einigen Ländern eine genaue Kartierung zu Gebieten mit diesen Lebensraumtypen fehle bzw. der Kartierungszyklus zu lang sei oder die Überwachung des Zustands der Lebensraumtypen fehle bzw. nur eine stichproben- oder anlassbezogene Überprüfung stattfinde, als nicht widerlegt an (Rn. 109).

Das viel beklagte umweltrechtliche Vollzugsdefizit auch und gerade in den FFH-Gebieten fasst der EuGH in die treffende Feststellung, dass die in Deutschland durchgeführten Überwachungsmaßnahmen nicht hinreichend gebietsspezifisch, regelmäßig und konsequent sind, um sie als geeignet im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie ansehen zu können (Rn. 110).

Der EuGH beanstandet dabei gerade auch die in Deutschland übliche nur schwache rechtliche Ausgestaltung von Überwachungsmaßnahmen als unzureichend. Den Umstand, dass keine rechtlich verbindlichen Maßnahmen zum Schutz der FFH-Gebiete gegen Überdüngung und eine zu frühe Mahd getroffen wurden, sondern die Bundesrepublik stattdessen auf Vereinbarungen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes, Empfehlungen und unverbindliche Managementpläne gesetzt hat, wertet der EuGH als Verstoß gegen die Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung zu treffen (Rn. 111). Die hiergegen gerichteten Einwände weist der EuGH klar zurück und erklärt, dass ohne eine rechtliche Bestimmung, mit der die Überdüngung und eine zu frühe Mahd in Gebieten mit den Lebensraumtypen 6510 und 6520 untersagt wird, die deutsche Praxis nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie genügen könne (Rn. 114). Soweit privatrechtliche Vereinbarungen zum Schutz mit Bewirtschaftenden getroffen wurden, hat die Bundesrepublik nach Ansicht des EuGH nicht nachgewiesen, dass diese Vereinbarungen die Wirkung einer rechtlich verbindlichen Bestimmung haben, die Überdüngung und eine zu frühe Mahd in den Gebieten untersagt (Rn. 115).

Folgerichtig stellt der EuGH dann fest, dass der Bundesrepublik der Vorwurf zu machen ist, es allgemein und strukturell versäumt zu haben hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der Mähwiesen in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu treffen.

Die EuGH-Entscheidung illustriert klar und deutlich, dass selbst in den am strengsten geschützten Naturschutzgebieten in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich den FFH-Gebieten, allgemeine und strukturelle Versäumnisse im Naturschutz festzustellen sind. Diese Feststellung des EuGH ist eine echte Ohrfeige für die Bundesrepublik, denn die rechtlichen Hürden für einen solchen Nachweis der allgemeinen und strukturellen Versäumnisse sind für die Kommission sehr hoch. Dass sie diese Hürde übersprungen hat, zeigt letztlich nur die traurige Tatsache auf, dass die Situation speziell der Mähwiesen prekär ist. Für viele weitere Lebensräume und Arten gilt dies entsprechend.

Zwar mag die Entscheidung beschränkt sein auf die Lebensraumtypen der Mähwiesen. Sie ist aber hinsichtlich des Vorwurfs der mangelnden rechtlichen Vorgaben für strenge Schutzmaßnahmen ohne weiteres übertragbar auch auf andere Lebensraumtypen und Arten in den Schutzgebieten. Das in Deutschland für den Schutz gewählte „weiche“ Schutzregime mit unverbindlichen Managementplänen, Empfehlungen und reinem Vertragsnaturschutz steht damit als alleiniges Schutzregime vor dem Aus und bedarf nun schleunigst der Ergänzung um tatsächlich wirksame Schutzmaßnahmen.

Mit Blick auf den fortschreitenden Verlust der Biodiversität bei gleichzeitig fehlendem kohärenten Schutzkonzept, den meine Kollegin Rechtsanwältin Lisa Hörtzsch und ich gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt erst vor wenigen Wochen zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht haben (siehe dazu hier), muss nun rasch nachgebessert werden. Dies betrifft einerseits den Gesetzgeber, der prüfen muss, ob und wie die Naturschutzgesetzgebung angepasst werden muss, um z.B. Managementpläne auch außenverbindlich zu machen. Eine Menge Arbeit kommt aber vor allem auch auf die Verwaltungen zu, die nun die konkreten Maßnahmen in den betroffenen Gebieten festlegen und für deren Umsetzung sorgen müssen. Der dringend notwendige Schutz der Biodiversität lässt weitere Versäumnisse nicht zu.

Die Entscheidung des EuGH ist damit ein wertvolles und wichtiges Aufbruchsignal für die deutsche Politik und eine gute Nachricht in den aktuell für Themen des Natur- und Klimaschutzes herausfordernden Zeiten. Sie ist zugleich eine schlechte Nachricht, wirft sie doch ein weiteres Schlaglicht auf die schlechte Lage der Natur in Deutschland. Im Interesse des Erhalts unserer natürlichen Lebensgrundlagen bleibt zu hoffen, dass der klare Spruch aus Luxemburg zu raschem Handeln motiviert.

Leipzig, den 14.11.2024

RAin Dr. iur. Franziska Heß
Fachanwältin für Verwaltungsrecht

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