Durch das Bayerische Straßen- und Wegegesetz vom 11.07.1958, in Kraft getreten am 01.04.1958, wurden die bayerischen Gemeinden zur erstmaligen Anlegung der Straßen- und Bestandsverzeichnisse aufgefordert. Dies ist mittlerweile schon mehr als 65 Jahre her, dennoch existieren auch heute noch Rechtsstreitigkeiten, die sich mit der Frage der Rechtmäßigkeit der damaligen Anlegung und deren Folgen befassen. Freilich stellt sich diese Frage heutzutage nicht losgelöst von einem aktuellen Aufhänger; vielmehr wird heute aus aktuellem Anlass beispielsweise die Widmung einer Straße (als öffentliche Straße) bestritten und hierbei auch damit argumentiert, dass eine solche nie erfolgt sei.
Aufpassen muss man hierbei aber, dass man bei derartigen Fragen – jedenfalls dann, wenn es nicht um eine aktuelle Widmung geht, sondern um eine schon länger zurückliegende – nicht nur die heute geltenden Regelungen zur Widmung beachtet, sondern auch die – dem nicht gänzlich entsprechende – Rechtslage zur Zeit der Erstellung der Bestandsverzeichnisse mitberücksichtigt.
Nach aktuellem Recht setzt die Widmung einer Straße nach Art. 6 Abs. 3 BayStrWG voraus, dass der Träger der Straßenbaulast das dingliche Recht hat, über das der Straße dienende Grundstück zu verfügen oder dass der Eigentümer und ein sonst zur Nutzung dinglich Berechtigter der Widmung zugestimmt haben oder dass der Träger der Straßenbaulast den Besitz des der Straße dienenden Grundstücks durch Vertrag, durch Einweisung oder in einem sonstigen gesetzlich geregelten Verfahren erlangt hat. Besteht also kein dingliches Recht des Straßenbaulastträgers an dem der Straße dienenden Grundstück und auch kein entsprechender Vertrag oder ein Einweisungs- bzw. entsprechendes gesetzliches Verfahren, kann eine Widmung ohne Mitwirkung, sprich positive Zustimmung des Eigentümers nicht erfolgen.
Dem war aber nicht immer so.
So gibt es einen Unterschied zwischen einer „normalen“ Widmung nach Art. 6 BayStrWG heutiger Fassung und der erstmaligen Anlegung der Straßen- und Bestandsverzeichnisse nach Art. 67 BayStrWG 1958 und hier insbesondere Art. 67 Abs. 4 BayStrWG 1958, wonach dann, wenn eine Eintragung nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG 1958 im Bestandsverzeichnis unanfechtbar wird, eine nach Art. 6 Abs. 3 BayStrWG 1958 erforderliche Zustimmung als erteilt und die Widmung als verfügt gilt. Auf eine ausdrückliche Zustimmung des Eigentümers kam und kommt es in diesen Fällen demnach gar nicht an.
Vielmehr galt die Zustimmung ab Unanfechtbarkeit der Eintragung im Bestandsverzeichnis als erteilt. Hierbei handelt es sich um eine unwiderlegbare Vermutung kraft Gesetzes (Edhofer/Willmitzer, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 67 Nr. 3 mit Hinweis auf BayVGH, BayVBl. 1998 S. 367).
Die Anlegung der Bestandsverzeichnisse endete wiederum mit dem Beginn der Auflegung. Die Bestandsverzeichnisse waren gemäß Art. 67 Abs. 3 BayStrWG 1958 nach Anlegung sechs Monate lang in den Gemeinden, für gemeindefreie Gebiete bei der Kreisverwaltungsbehörde, zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. Die Eintragung galt mit der Beendigung der sechsmonatigen Auflegungsfrist als bekanntgemacht.; erst ab dann lief die Jahresfrist der §§ 58 Abs. 2 und 70 Abs. 2 VwGO für den Widerspruch selbst dann, wenn die Widerspruchsbelehrung mit bekanntgemacht worden war. Danach war jedenfalls die Eintragung im Bestandsverzeichnis unanfechtbar. Eine Verkürzung der gesetzlichen Auflegungsfrist von sechs Monaten schadete nach der obergerichtlichen Rechtsprechung der Wirksamkeit der Bekanntgabe nicht, verkürzte aber auch nicht diesen gesetzlichen Fristlauf (Edhofer/Willmitzer, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 67 Nr. 3 mit Hinweis auf BayVGH, BayVBl. 1998 S. 367 m. w. N.). Die öffentliche Auflegung wirkte hinsichtlich der Frist auch gegenüber bekannten Beteiligten. Die in Art. 67 Abs. 3 S. 4 BayStrWG 1958 ergänzend vorgeschriebene Unterrichtung der bekannten Beteiligten ist nicht als Zustellungsvorschrift anzusehen, Art. 67 Abs. 2 und 3 BayStrWG 1958 verstößt auch im Hinblick darauf nicht gegen Art. 14 GG (Edhofer/Willmitzer, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 67 Nr. 3 mit Hinweis auf BayVGH, BayVBl. 1998 S. 367 m. w. N.).
Festzuhalten bleibt somit, dass keine ausdrückliche Zustimmung der Eigentümer erforderlich gewesen ist, sondern diese nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG 1958 als erteilt und die Widmung als verfügt gilt ab Unanfechtbarkeit der Eintragung nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG 1958 im Bestandsverzeichnis. Diese Unanfechtbarkeit trat spätestens nach Ablauf der 6-monatigen Auflegungsfrist und anschließender – für den Fall einer fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung – Jahresfrist ein, mithin also 1 ½ Jahre nach Beginn der Auflegung, das wäre an sich im Oktober 1962 der Fall gewesen, kann aber aufgrund eventueller individueller Fristverlängerungen zur Anlegung der Bestandsverzeichnisse auch später sein. Zumindest seitdem ist die Eintragung im Bestandsverzeichnis unanfechtbar und gilt demnach die Zustimmung des Eigentümers als erteilt und die Widmung als verfügt.
Weder eine Verkürzung der Auflegungsfrist noch eine fehlende zusätzliche Unterrichtung der bekannten Beteiligten führte – wie vorstehend aufgezeigt – zur Rechtswidrigkeit. Erst recht ist eine Nichtigkeit zu verneinen: Weder bei Verkürzung der 6-Monats-Frist noch bei der nicht erfolgten ergänzenden Zustellung an bekannte Beteiligte handelt es sich um Vorschriften, deren Nichteinhaltung zur Nichtigkeit des Bestandsverzeichnisses führen würde. Hierzu s. unter anderem BayVGH, U. v. 28.02.2012, Az: 8 B 11.2934:
„Die Rechtsmaterie der Rechtsbereinigung nach Art. 67 Abs. 3, 4 BayStrWG wirft außerordentlich komplexe juristische Fragen auf, die auch für den Fachmann nicht leicht zu überschauen sind. Vor allem kleinere Gemeinden, die der Gesetzgeber des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes vom 11. Juli 1958 (GVBl S. 147) ebenfalls mit der erstmaligen Anlegung der Bestandsverzeichnisse betraut hatte, waren beim Vollzug dieser Aufgaben erkennbar überfordert. Die Folge waren massenhaft auftretende Mängel im Vollzug, besonders hinsichtlich der Beachtung des komplizierten Verfahrens – mit einer Anlegungsfrist, einer Frist für die öffentliche Bekanntmachung und einer Rechtsbehelfsfrist. Aber auch die Beurteilung der komplizierten sachenrechtlichen Verhältnisse bereitete Schwierigkeiten. Dies alles war der Grund dafür, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die verschiedenen Anforderungen beim Vollzug des Art. 67 Abs. 3, 4 BayStrWG wiederholt abgesenkt und auch einzelne Regelungen nur als Ordnungsvorschriften angesehen hat (vgl. etwa BayVGH vom 30.4.1985 BayVBl 1985, 532; vom 15.5.1990 BayVBl 1990, 627; vom 1.8.1991 BayVBl 1992, 562; vom 21.11.1991 FStBay 1992 RdNr. 262). Die dargestellten Fehlleistungen des Gesetzgebers dürfen bei der Beurteilung der Evidenz nicht außer Betracht gelassen werden. Wenn Fachleute mit einschlägiger öffentlich-rechtlicher Vorbildung Schwierigkeiten beim Vollzug der Vorschriften über die wegerechtliche Rechtsbereinigung haben, muss dies auch bei der Beurteilung der Anforderungen an die Offensichtlichkeit im Sinn des Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG Berücksichtigung finden. Hinsichtlich der Annahme einer Nichtigkeit einer Eintragung nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG ist daher in der Regel Zurückhaltung geboten.“ (Rn. 45
„Aus dem fehlerhaften Durchlaufen des Verfahrens nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG kann danach ein Nichtigkeitsvorwurf nicht hergeleitet werden, zumal dieses Verfahren auch viel zu komplex ist, als dass es ein verständiger, aber juristisch nicht vorgebildeter Beobachter überhaupt überschauen könnte (vgl. BVerwG vom 7.10.1964 BVerwGE 19, 284/287; BayVGH vom 12.12.2000 BayVBl 2001, 468/469 f.). Ein daraus hergeleiteter Nichtigkeitsvorwurf würde regelmäßig – und so auch hier – bereits an der Evidenz im Sinn des Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG scheitern. Dies hat zur Folge, dass ein Nichtigkeitsvorwurf in der Regel allenfalls aus sachlich-rechtlichen, nicht aus verfahrensrechtlichen Rechtsverstößen hergeleitet werden kann.“ (Rn. 54)
„Unerheblich ist, dass im Bekanntmachungstextblatt nur eine Auslegung von etwa einem Monat (30.1. bis 28.2.) vorgesehen war. Daraus könnte allenfalls ein Verfahrensfehler hergeleitet werden, der die Anfechtbarkeit der Eintragung hätte begründen können. Die Eintragung ist indes unanfechtbar. Die Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 1999 (BayVBl 2000, 81), auf die sich das Erstgericht in diesem Zusammenhang beruft, betraf den Fall einer Anfechtungsklage gegen eine noch anfechtbare Eintragung, nicht einen Nichtigkeitsvorwurf nach Unanfechtbarkeit. Aus ihr kann für den vorliegenden Fall nichts hergeleitet werden.“ (Rn. 60)
Siehe hierzu auch den Leitsatz der Entscheidung:
„Die Betrauung auch kleinerer Gemeinden mit der Anlegung der Bestandsverzeichnisse für gemeindliche Straßen und Wege bei der Rechtsbereinigung nach dem 1. September 1958 (Art. 67 Abs. 3, 4 BayStrWG) hat diese beträchtlich überfordert. Soweit bei heute geführten Wegestreitigkeiten die Annahme einer Nichtigkeit der Eintragung in das Bestandsverzeichnis erwogen wird (Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG), ist deshalb in der Regel Zurückhaltung geboten.
Hinweis:
Mit dieser Entscheidung setzt der Bayer. Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsprechung fort, wonach im Zweifel die Gültigkeit einer Eintragung anzunehmen ist. Nur ganz offensichtlich grobe Fehler oder eine völlige Unbestimmtheit führen zur Ungültigkeit.“
Festzuhalten ist somit, dass eine Nichtigkeit die absolute Ausnahme darstellt und schon gar nicht bei etwaigen Verfahrensfehlern vorliegt. Sollten also damals bei Anlegung der Bestandsverzeichnisse seitens der Gemeinden Fehler gemacht worden sein, haben diese grundsätzlich die für sie positive Rechtsprechung des BayVGH auf ihrer Seite.
Sollten auch Sie Fragen zur straßenrechtlichen Widmung bzw. auch zu anderen Themen des Straßen- und Wegerechts haben, stehen wir Ihnen hierbei gerne mit unserem Know-How sowie Rat und Tat zur Seite.
Würzburg, den 27.03.2024
gez. RAin S. Lesch/Fachanwältin für Verwaltungsrecht