In der Praxis tritt – gerade bei sehr alten Bebauungsplänen – im Rahmen eines Baugenehmigungsantrags oftmals die Problematik auf, wie vorzugehen ist, wenn das zugrunde liegende Bauvorhaben zwar in einem Bebauungsplangebiet liegt, aber Zweifel an der Wirksamkeit des Bebauungsplans bestehen.

Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob es der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB bedarf. Dieser Gesichtspunkt ist insbesondere für die Gemeinden von Interesse, wenn sie das beantragte Vorhaben verhindern möchten.

Auf den ersten Blick erscheint die Antwort recht einfach:

Nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB wird über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Gemäß Satz 2 der Vorschrift ist das Einvernehmen der Gemeinde auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften entschieden wird. Ein solches anderes Verfahren ist zum Beispiel ein immissionsschutzrechtliches Verfahren nach §§ 4 ff. BImSchG (s. § 13 BImSchG). Die Gemeinde darf ihr Einvernehmen nur bei Vorliegen eines sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Grundes versagen.

Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ist bei Belegenheit des Vorhabens im Geltungsbereich eines Bebauungsplans grundsätzlich kein Raum, das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen oder zu verweigern. Der Anwendungsbereich des § 36 BauGB ist schlichtweg nicht eröffnet.

Wie verhält es sich nun aber, wenn die Gemeinde der Auffassung ist, ihr Bebauungsplan sei entweder von Anfang an unwirksam gewesen oder im Laufe der Zeit funktionslos geworden? Ist sie dann berechtigt, ihr Einvernehmen nach § 36 BauGB zu verweigern?

Zunächst ist festzuhalten, dass gemäß § 10 Abs. 1 BauGB der Bebauungsplan als Satzung beschlossen wird. Da einer Behörde – anders als den Gerichten – keine Normverwerfungskompetenz zukommt, muss sie selbst dann den Bebauungsplan anwenden, wenn sie ihn für unwirksam erachtet. Dies ist jedoch bei Bebauungsplänen umstritten und wurde durch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht abschließend geklärt.

Nach der Rechtsprechung des BGH und dem VGH München besteht keine Befugnis der Behörden zur inzidenten Normverwerfung. Demgegenüber urteilte der VGH Kassel: die Bauaufsichtsbehörde hat bei bestehendem Anlass die Bebauungspläne auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, Anlass bestehe insbesondere, wenn eine Problematik in Schrifttum oder Rechtsprechung geklärt sei und deshalb eindeutige Schlüsse zulasse (U. v. 20.12.1989, Az; 4 UE 2251/88); die Ungültigkeit müsse sich zweifelsfrei feststellen lassen (B. v. 22.02.1994, Az: 5 TH 1189/92), (EZBK/Külpmann BauGB § 10 Rn. 385-389).

Ob die Genehmigungsbehörde einen existierenden Bebauungsplan unangewendet lassen kann, ist also streitig. Geht man jedenfalls davon aus, dass hierzu keine Pflicht besteht, wird die Genehmigungsbehörde auch bei einem gegebenenfalls unwirksamen Bebauungsplan von dessen Wirksamkeit ausgehen und demnach kein Einvernehmens-Erfordernis nach § 36 BauGB erkennen.

Falls der Bebauungsplan aber inzident im Rahmen eines Gerichtsverfahrens gegen den Genehmigungsbescheid für unwirksam erklärt wird, liegt dann mangels Bebauungsplans ein Vorhaben im Sinn von § 34 BauGB bzw. § 35 BauGB vor, zu dessen Genehmigung das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen ist.

Allein die Missachtung des gesetzlich gewährten Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen führt zur Aufhebung der (Bau-)Genehmigung; es bedarf dann nicht einmal einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Rechtslage. Eine (Bau-)Genehmigung, bei der das planungsrechtlich vorgesehene Einvernehmen der Gemeinde fehlt, ist allein deswegen aufzuheben (Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 67 Rn. 135).

Sofern das Gericht zu dem Schluss kommt, dass der dem Vorhaben zugrunde liegende Bebauungsplan unwirksam ist, wäre das Vorhaben – je nach Lage im Innen- oder Außenbereich – nach § 34 BauGB oder § 35 BauGB zu beurteilen. Da dafür jedoch das gemeindliche Einvernehmen fehlt, würde dies im Fall einer Klage der Gemeinde grundsätzlich per se zur Aufhebung der Genehmigung führen. Dann kann eine Entscheidung in der Sache, ob das Vorhaben genehmigungsfähig ist oder nicht, offengelassen werden, da alleine die Missachtung des Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen der Klage der übergangenen Gemeinde zum Erfolg verhilft.

Ein solches Obsiegen der Gemeinde hat aber nicht zur Folge, dass das beantragte Vorhaben nicht verwirklicht werden kann – über die Frage dessen Genehmigungsfähigkeit ist in der Regel noch gar nicht gerichtlich entschieden worden. Dies führt dazu, dass bei entsprechendem Antrag des Vorhabenträgers das Genehmigungsverfahren – nun mit entsprechender Beteiligung der Gemeinde – erneut durchgeführt und die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens erneut geprüft wird. Je nach Ergebnis dieser Prüfung kann dann gegebenenfalls eine weitere Klage angezeigt sein.

Des Weiteren sollten vorab etwaige Konsequenzen bedacht werden, die sich aus einer Ungültigerklärung des Bebauungsplans ergeben könnten. Wie wäre zum Beispiel ein Einfügen nach § 34 BauGB zu bewerten? Bestünde die Gefahr, dass – entgegen der Intention des Bebauungsplans – hiernach Vorhaben zulässig wären, die der Bebauungsplan eigentlich ausschließen wollte?

Sollte § 35 BauGB einschlägig sein, wäre insbesondere in die Überlegungen mit einzustellen, ob es sich beim konkret beantragten Vorhaben um ein privilegiertes nach § 35 Abs. 1 BauGB oder ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB handeln würde.

Fazit:

Bevor die Gemeinde den vermeintlich vorteilhaft erscheinenden Weg einer Klage wegen Fehlens des gemeindlichen Einvernehmens gehen möchte, sollte zum einen zunächst die Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans geprüft werden. Zum anderen sollten unbedingt auch die Konsequenzen bedacht werden, die sich im Falle einer gerichtlichen Inzidentkontrolle des Bebauungsplans mit dem Ergebnis von dessen Unwirksamkeit ergeben würden.

Zudem ist den Gemeinden anzuraten, bei Bebauungsplänen, bei welchen die Gefahr der Unwirksamkeit bzw. Funktionslosigkeit besteht, bereits frühzeitig zu überlegen, ob diese nicht – falls möglich – einem ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB unterzogen werden sollen oder aber aufgehoben und entsprechend dem jetzigen Planungswillen der Gemeinde neu aufgestellt oder geändert werden sollen.

gez. RAin S. Lesch/Fachanwältin für Verwaltungsrecht